Plakat des Films Blade Runner 2049.

Filmvorstellung: Blade Runner 2049

Foto: Alcon Entertainment / Sony Pictures

Was mir am Hollywood-Kino dieser Tage ziemlich auf den Zeiger geht, ist die scheinbare Mut- und/oder Ideenlosigkeit der Entscheidungsträger bzw. Geldgeber. Vielleicht trügt der Schein, aber ich werde das Gefühl nicht los, dass lieber ein Haufen Geld in die Hand genommen wird, um ein Remake/Reboot oder eine x-te Fortsetzung zu drehen, anstatt in wirklich frische Ideen zu investieren. Ganz so dramatisch ist es natürlich nicht, dennoch kann einem diese ewige Prequel-/ Sequel-Manie schon ein wenig die Lust auf Kino vermiesen. Zumal: das Aufwärmen altbekannter Stoffe gerne mal in die Hose geht, wie man unlängst wieder an „Alien: Covenant“ sehen konnte. Ein weiterer Film, mit dem Ridley Scott das, was er einst geschaffen hat, so langsam aber sicher immer mehr der Lächerlichkeit anheimfallen lässt.

Um einen Film aber, der über die Jahre zu großem Kultstatus gelangte, hatte Hollywood über die Jahrzehnte bisher einen Bogen gemacht.

Foto: Alcon Entertainment / Sony Pictures

Die Rede ist von „Blade Runner“, 1982 von eben jenem Ridley Scott auf der Grundlage von Philip K. Dicks Science-Fiction-Roman „Träumen Androiden von elektronischen Schafen“ auf die große Leinwand gebracht. Die Geschichte des Films dürfte hinlänglich bekannt sein, genauso wie die Fakten, dass der Streifen mit Harrison Ford in der Hauptrolle sich trotz des damals enorm populären Hauptdarstellers als Flop an den Kinokassen erwies und erst durch die Heimkinoauswertung zu dem Kultfilm entwickelte, der er heute ist. Es war zu befürchten, dass sich Hollywood eines Tages des Themas wieder widmen würde – ganz ungeachtet der Tatsache, dass Scotts audiovisuell brillantes Meisterwerk weder eine Fortsetzung benötigte, noch von irgendwem ernsthaft gewollt gewesen sein konnte. Und so kam es, wie es kommen musste. „Blade Runner“ erhielt jüngst eine Fortsetzung. „Blade Runner 2049“ heißt sie, und keinem Film bin ich im Vorfeld mit mehr Ablehnung und Skepsis begegnet, wie dieser vermeintlich unnötigen Fortsetzung. Mit einer gehörigen Portion Angst davor, die Fortsetzung könne dem Original, der nicht weniger als mein absoluter Lieblingsfilm ist, irgendwie geschadet haben, bin ich neulich im Kino gewesen. Ich habe wirklich mit so ziemlich allem gerechnet, nur nicht mit dem, was ich in satten 164 Minuten zu sehen bekommen sollte!

Es kann sein, dass Ihr, wenn Ihr diese Zeilen lest, den Streifen noch nicht gesehen habt. Um Euch vom Inhalt so wenig wie möglich zu verraten, belasse ich es bezüglich des Inhalts bei der offiziellen Synopsis, die da lautet:

Foto: Alcon Entertainment / Sony Pictures

Dreißig Jahre nach den Ereignissen des ersten Films gräbt ein neuer Blade Runner, LAPD-Offizier K (Ryan Gosling), ein lang begrabenes Geheimnis aus, das das Potenzial hat, das, was von der Gesellschaft übrig geblieben ist, in Chaos zu stürzen. Ks Entdeckung führt ihn auf die Suche nach Rick Deckard (Harrison Ford), einem ehemaligen LAPD-Blade Runner, der seit 30 Jahren vermisst wird.

Zwischen einer Handvoll Gesichtsausdrücken, Augenrollen und großartiger Performance

Mehr soll zu der Handlung an dieser Stelle nicht gesagt werden. Um die Gefahr von Spoilern zu minimieren, werde ich mich auch nicht weiter zu den Darstellern und ihren Rollen auslassen. Nur so viel: In meinen Augen machten sie im Rahmen der vom Drehbuch gelassenen Möglichkeiten einen guten Job. Ryan Gosling als neuer Blade Runner hat mir gut gefallen, wenngleich ich mir denke, dass der Mann mehr kann als die Handvoll Gesichtsausdrücke, die er hier zur Schau stellt. Harrison Ford hingegen ist weiterhin Harrison Ford. In manchen Kritiken zum Film liest man, er habe hier die beste Performance seit Jahren geliefert. Nun ja. Viel weniger Lust als auf die Reprise seines Han Solo in „Star Wars: Das Erwachen der Macht“ konnte er auch nicht zur Schau stellen, somit war ohnehin mit einer Steigerung zu rechnen.

Foto: Alcon Entertainment / Sony Pictures

Aber ernsthaft: Ich hatte auch ein bisschen Sorge davor, mir einen alten Rick Deckard anschauen zu müssen – unterm Strich funktionierte das aber erstaunlich gut. Auch die Erklärung, warum Deckard 30 Jahre nach den Ereignissen des Originals immer noch unter den Lebenden weilt, hat trotz anfänglicher Befürchtung gut funktioniert. Letztlich waren sich Ridley Scott und Harrison Ford bis zuletzt wohl selbst nicht ganz einig darüber, ob Deckard auch ein Replikant ist oder nicht. Scott sagt ja (das Einhorn!), Ford nein. Für das Funktionieren von „Blade Runner 2049“ spielt das aber keine Geige. Selbst Jared Leto, mit dem ich sonst wenig bis nichts anfangen kann, stört nicht weiter. Bei seinem ersten Auftritt im Film rollte ich noch mit den Augen, in seinen nachfolgenden Minuten Bühnenzeit hingegen dachte ich dann schon: Na okay, ist doch ganz ordentlich, was er da macht. Den Blumentopf für die überzeugendste Darstellung jedoch darf sich Sylvia Hoeks abholen – da wäre mancher Nexus 6 sicher neidisch gewesen.

Die philosophische Frage: Welche Rolle spielt der Mensch noch?

Einer der Gründe, warum „Blade Runner“ seit Jahren begeistert, fasziniert und inspiriert, sind die philosophischen Fragen, die der Film aufwirft. Erfreulicherweise steht „Blade Runner 2049“ dem in nichts nach. Manche Fragen und Überlegungen sind ähnlich, andere neu und in den gesellschaftlichen und technologischen Entwicklungen seit Erscheinen des ersten Films verankert. „Menschlicher als der Mensch“ – so lautete das Versprechen der Tyrell-Corporation im Hinblick auf die Replikanten. In „Blade Runner 2049“ ist diese Stufe längst überschritten. Engel sollen es am liebsten sein, die den Machtanspruch Einzelner festigen. Somit bleiben nach Ende des Films Gedankengänge übrig, wie: In einer Welt, in der künstliche Wesen Romanzen mit künstlichen Intelligenzen haben, in der die Replikanten so ziemlich alle Vorzüge der Menschen in sich vereint haben – welche Rolle spielt der Mensch selbst dann noch auf einer sterbenden Welt? Wird die Menschlichkeit – wie auch immer man sie definieren mag – überleben, auch wenn es die Menschheit selbst vielleicht nicht tut? Regisseur Denis Villeneuve, die Drehbuchautoren Hampton Fancher (schrieb schon beim Original am Drehbuch mit) und Michael Green sowie Produzent Ridley Scott stellen in der angenehm ausladenden Spielzeit dieses Films so manche Überlegung in den Raum, ohne dem Zuschauer Antworten aufdrängen zu wollen. Schön, mal wieder den Kopf voller Gedankengänge zu haben, wenn man aus dem Kino kommt.

Von eigenen Interpretationen und Holzhammer-Hinweisen

Die Schwächen dieses Films – ja, er hat welche! – liegen an anderer Stelle. Die Handlung beispielsweise ist zwar einigermaßen gespickt mit diversen Wendungen, allerdings hat man im Bereich dystopischer Science-Fiction schon aufregenderes gesehen. Dennoch ist sie okay, wenngleich nicht überragend. Aber sie fügt sich gut in das geschaffene Gesamtkonstrukt ein. Ärgerlicher ist eher, dass die Macher den Zuschauer*innen zwar einerseits viel Raum für eigene Gedankenspiele lassen, andererseits an manchen Stellen beinahe schon mit dem Holzhammer Zusammenhänge und Details erklären. So als hätte man letztlich doch nicht sooo viel Vertrauen in den Intellekt des Publikums gehabt. Letztlich ist mir das so aber immer noch lieber, als eine Fassung des Films sehen zu müssen, in welcher die Hauptqgur die Zusammenhänge als Erklärung aus dem Off herunterplappert. Man denke nur an die Kinofassung des ersten „Blade Runners“, die auch nur auf Geheiß des Filmstudios entstanden ist. Eben weil man damals auch dachte, das Publikum würde sonst dem Geschehen auf der Leinwand nicht folgen können. Vielleicht war das der Kniefall, der nötig war, um ansonsten allerhand künstlerische Freiheiten genießen zu können. Wer weiß.

Visuell überragend, nicht zuletzt der sehr ruhigen Kameraführung wegen

Ein anderer Grund für den Kult rund um den originalen „Blade Runner“ ist eine überragende optische und musikalische Gestaltung. In den 80ern, als CGI mehr noch ein feuchter Traum von Filmschaffenden war, wurde mit aufwendigen Kulissen, Modellen und Kostümen eine stilbildende Version des Los Angeles der Zukunft geschaffen, die noch bis heute Maßstäbe setzt und das viel zitierte Sub-Genre Science-Fiction-Noire definierte. Wohl in kaum einem Punkt waren sich die Macher von „Blade Runner 2049“ so sehr der gigantischen Fußstapfen bewusst wie in dem, eine ähnlich überzeugendes, visuell überwältigendes Bild auf die Leinwand zu bringen. Um es kurz zu machen: es ist ihnen mit größter Bravour geglückt.

Foto: Alcon Entertainment / Sony Pictures

Entgegen dem Zeitgeist kommt „Blade Runner 2049“ ohne hektische Kameraschwenks aus, sondern verweilt lange auf den mit unheimlicher Detailversessenheit ausstaffierten Szenen, die in vielen Momenten ganz klar die Elemente des ersten Teils aufgreifen und sie, der Kontinuität wegen, entsprechend ergänzen. Die Bilder, die Villeneuve und sein Kameramann Roger Deakins auf die Leinwand brachten, sind von so unfassbarer malerischer Schönheit, dass ich mich daran nicht nur nicht satt sehen kann, sondern mir am liebsten jede Einstellung ausdrucken und gerahmt an die Wand nageln möchte. Der unaufgeregte Stil des Films kommt dem visuellen Reiz da sehr entgegen. Es scheint beinahe so, als riefen die Bilder still und heimlich: Seht her, wie viel Mühe wir uns damit gegeben haben, dem ursprünglich im Wesentlichen von Syd Mead erschaffenen Design gerecht zu werden! Das geht bis hin zu den Produktplatzierungen und Firmenlogos wie dem von Atari, die hier nicht stören, sondern eher ein Gefühl der Vertrautheit erwecken. Schließlich keilten sich auch Deckard und Roy Batty dereinst im schummrigen Schatten eines TDK-Logos.

Interessant fand ich, dass trotz der technologischen Sprünge, die sowohl in der wirklichen Welt stattgefunden haben sowie auch in der Welt des Films passiert sein müssten, viele Dinge aufgegriffen wurden, die mit „sehr klassisch“ gut umschrieben werden könnten. Stichwort Bücher und Fotos. Warum es in der Welt von „Blade Runner 2049“ nicht alles ausschließlich digital gibt, wird im Film erklärt. Gleichwohl sorgt es in meinen Augen für eine schlüssige Verbindung beider Filme, dass nicht alles, was technisch möglich ist, auch gemacht wird. Wie sehr die Verliebtheit auf Effekte und digitale Tricktechnik einem Film schaden kann, hat man bei Ridley Scotts anderem Schaffenskind, „Alien“, gesehen. „Prometheus“ und „Alien: Covenant“ wirkten auf unnatürliche Weise hochglänzend und modern – und das, obwohl sie zeitlich sogar vor dem Klassiker von 1979 angesiedelt waren. Nee, da ist es mir schon lieber, wenn Protagonisten des Films auch weiterhin ganz klassisch mit Fotos herumwedeln. Das verhindert einfach einen optischen und stilistischen Bruch.

Bass, bässer, Zimmer – aber ohne eigene Akzente

Ebenfalls ein großer, ein wichtiger Punkt ist die Musik. 1982 war es der griechische Synthesizer-Pionier Vangelis, der einen famosen Score schrieb, der zwischen ausladenden Synthie-Flächen, jeder Menge flirrender Spielereien und Saxophone-Melodien rangierte. Für die Musik des neuen Films zeichneten Benjamin Wallfisch und Tausendsassa Hans Zimmer verantwortlich. Es hat mich sehr gefreut zu hören, dass sich das Team Wallfisch und Zimmer sowohl in der Wahl der verwendeten Sounds als auch in den Melodiebögen sehr an Vagelis’ Kompositionen orientierten, ohne diese jedoch plump nachzuspielen. Allerdings hat dies zur Folge, dass – im Gegensatz zu „Dunkirk“ oder „Interstellar“ beispielsweise – Zimmer dieses Mal keine neuen Akzente setzen konnte. Beinahe so, als hätten sich beide Komponisten dem Dienst an der Sache untergeordnet. Dennoch bilden Musik und Ton auch hier eine für mich sehr schlüssige Einheit mit den Bildern – ganz im Geiste des ursprünglichen „Blade Runner“.

Eine respektvolle Verneigung vor dem Original

„Blade Runner 2049“ ist ein visuell überragender Film geworden, der sich in vielen Momenten respektvoll gegenüber dem Original verneigt, ohne sich dabei jedoch in ewigen Fan-Service zu ergehen oder, schlimmer noch, alles über Bord wirft, was man am Original kennt und liebt. Allein die optische Brillanz hätte einen Oscar verdient! Es ist sicher nicht der beste Science-Fiction-Film aller Zeiten – der ist und bleibt schließlich das Original – kann jedoch ganz locker neben ebendiesem bestehen. Er greift so viele Dinge auf und erweitert das Bestehende, dass selbst die hartgesottensten Fans, die alles, was irgendwie mit „Blade Runner“ zu tun hat, mit Argusaugen beobachten (zu denen zähle ich mich auch), sehr zufrieden sein können. Als die Lichter im Kinosaal ausgingen, hatte ich noch Angst, die Macher könnten mir meinen „Blade Runner“ verdorben haben. Als das Licht wieder anging, war ich glücklich und dankbar für dieses gelungene Upgrade, das auf so vielen Ebenen so vieles richtig macht. Was ihn, in Summe, trotz kleinerer Schwächen doch zu einem Meisterwerk macht. In Anspielung auf eine Dialogszene im Film: Ich habe hier ein Wunder gesehen.

Foto: Alcon Entertainment / Sony Pictures

Ich bin wie erwähnt ein riesiger Fan des Originals (nach dem 500. Mal hab’ ich aufgehört zu zählen) und fand eine Fortsetzung immer so unnötig wie Pickel am Hintern. Bis zuletzt war ich auch wirklich sehr skeptisch bis ablehnend einer möglichen Fortsetzung gegenüber eingestellt. Ich empfand die literarischen Fortsetzungen von K.W. Jeter damals schon als mittlere Katastrophe. Aber was ich hier im Kino gesehen habe, ist mit „wow!“ einigermaßen gut umschrieben. Diese Bilder! Wenn ich könnte, würde ich darin baden wollen. Audiovisuell steht „Blade Runner 2049“ dem Original in nichts nach. Erstaunlicher noch: anstatt den leichten Weg von Knallbumm-Effekthascherei zu gehen, wählten die Macher das gleiche Tempo, wie es auch das Original zu bieten hatte. Mutig in einer Zeit, in der doch scheinbar alles immer höher, lauter, schneller und krawalliger sein muss. Unterm Strich: was für eine gelungene Fortsetzung. Oder besser noch: Erweiterung. Als hätte der erste Teil gar nicht aufgehört. Entgegen aller Erwartungen bin ich sehr begeistert. Besser hätte man das wohl nicht machen können, eine Fortsetzung zu drehen, die eigentlich niemand brauchte. Der Film hat beste Chancen, von mir mindestens genauso oft angeschaut zu werden wie das 1982er-Original. Fortan dann im Doppelpack, denn der Anschluss des neuen Films an den alten funktioniert hervorragend.

Plakat des Films Blade Runner 2049.
Erscheinungsdatum
5. Oktober 2017
Originalsprache
Englisch
Laufzeit
164 Minuten
FSK
12
Regie
Denis Villeneuve
Drehbuch
Hampton Fancher, Michael Green
Produktion
Broderick Johnson, Andrew A. Kosove, Bud Yorkin, Cynthia Sikes Yorkin
Musik
Hans Zimmer, Benjamin Wallfisch
Unsere Wertung
4.2
Fazit
Unterm Strich: was für eine gelungene Fortsetzung. Oder besser noch: Erweiterung. Als hätte der erste Teil gar nicht aufgehört. Entgegen aller Erwartungen bin ich sehr begeistert. Besser hätte man das wohl nicht machen können, eine Fortsetzung zu drehen, die eigentlich niemand brauchte. Der Film hat beste Chancen, von mir mindestens genauso oft angeschaut zu werden wie das 1982er-Original. Fortan dann im Doppelpack, denn der Anschluss des neuen Films an den alten funktioniert hervorragend.
Pro
Unnötige, aber gelungene Fortsetzung, die sich dem Original respektvoll annähert
Tolle Bilder, großartig eingefangen durch unaufgeregte Kameraführung
Kontra
Die Handlung ist ein bisschen dünn
Gelegentlich wird zu viel mit dem Holzhammer erklärt und Zuschauenden zu wenig Möglichkeit gegeben, sich selbst Gedanken zu machen
4.2
Wertung
Vorheriger Artikel

Musikvorstellung: mind.in.a.box – Broken Legacies

Nächster Artikel

Fahrer und Guides auf Bali, oder: Sparen am falschen Ende

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Lies als nächstes