Miley Cyrus mit kurzen, blonden Haaren. Sie trägt ein knappes, bauchfreies weißes Top, schwarze lange Lederhandschuhe und ist mit einigen schweren Schmuckketten behangen.

Musikvorstellung: Miley Cyrus – Plastic Hearts

Foto: Mick Rock

Meine Berührungspunkte mit dem Schaffen von Miley Cyrus, das gebe ich zu, waren bisher sehr überschaubar. Ich erinnere mich noch an meine Zeit im Buchhandel, als „Hannah Montana“-Bücher (die Disney-Serie begleitend, mit der Miley ihren Durchbruch schaffte) Verlagsvorschauen überfluteten und sich gerade bei jungen Mädels ein regelrechter Hype um Miley Cyrus entwickelte. Sicherlich habe ich auch ihre Skandale und Skandälchen wahrgenommen, die wohl vorrangig dazu dienten, sich von dem Sauberfrau-Image, das ihr durch die Disney-Fernsehserie quasi auferlegt wurde, zu trennen. Mit ihrem musikalischen Tun, auch das muss ich zugeben, habe ich ignoranter alter Sack mich bis dato nicht weiter beschäftigt. Ich ritt ganz gut auf meinem hohen Ross durch ein Leben, in dem die Mucke von Miley nur eine Randnotiz darstellte. Aber wie das eben so ist: Zeiten ändern dich. Das neue Album „Plastic Hearts“, um das es mir hier und heute geht, wurde vom vertreibenden Label Sony Music hinsichtlich der Promotion wenig überraschend so gründlich bearbeitet, dass ich dann doch einmal in eines der Youtube-Videos reingeklickt habe. Ich könnte schon jetzt ein erstes, persönliches Fazit vorwegschicken: Tschüsschen Vorurteile, hallöchen Erkenntnisgewinn!

Miley Cyrus - Midnight Sky (Official Video)

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Vielleicht liegt es an dieser „Hannah Montana“-Geschichte, dass sich in meinem Kopf bis zu „Plastic Hearts“ das Bild von hochglänzender, bisschen klebriger Pop-Musik, charttauglich und auf größtmöglichen Airplay-Einsatz getrimmt, festgesetzt hatte. Möglich, dass Frau Cyrus dieser Umstand durchaus bewusst ist und sie deshalb „WTF Do I Know?“ als Eröffnungsstück für das Album auswählte. Sie beackert hier den Umstand, mit ihrem Lebensstil (siehe die eingangs erwähnten Skandale usw.) weder von den Medien noch von ihrem früheren Ehemann und dessen Familie akzeptiert worden zu sein. Falls Ihr Euch fragt, was das „Explicit Lyrics“-Stickerchen auf dem Albumcover zu suchen hat – diese rock’n’rollende Up-Tempo-Nummer liefert einen ersten Hinweis darauf. Ganz angetan lasse ich mich direkt schon zum Auftakt von Mileys rotzfrecher Rock’n’Roll-Attitüde, die mich an Blondie oder Cyndi Lauper denken lässt (die Promo-Fotos von Mick Rock sowie ihr derzeitiger Style sind daran sicher nicht unschuldig), um den Finger wickeln. Erstaunt nehme ich überdies zur Kenntnis, dass Frau Cyrus über eine ziemlich kraftvolle Stimme verfügt. Hätte ich im Leben nicht erwartet. „Plastic Hearts“, das Titelstück, ist mir beinahe eine Spur zu gefällig und bestätigt beinahe meine bisher gepflegten Vorurteile. Auch wenn ich sich meine Füße nicht dagegen wehren können, mitzuwippen. „Angels Like You“ ist mir auch zu beliebig geraten. Klingt ein wenig so, als wäre das ein Song, den sonst Pink! intonieren würde. Tja. Und nach dieser anfänglichen, minimalen Durststrecke geht quasi der Punk ab!

Miley Cyrus - Plastic Hearts (Backyard Sessions)

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Nach kurzer, anfänglicher Durststrecke geht der Punk ab!

„Prisoner“, ein Duett mit Dua Lipa, ebenfalls derzeit ein ordentlich Geld einbringendes Lieblingskind der Musikindustrie, reitet mit auf der Synth-Wave-Welle – und nistet sich unwiderruflich als Ohrwurm im Hirn ein. Man spricht ja gerne mal von großen Würfen – das hier ist einer! Richtig gut. Oder auch „Gimme What I Want“, das mit einem so knarzigen Soundgerüst aufwartet, dass ich in den ersten Sekunden ganz kurz vermute, zwischendurch und unbewusst auf irgendwelches EBM-Gebummse umgeschaltet zu haben. Bleibt natürlich nicht so, dafür aber nachhaltig in Erinnerung. Und dieses Gitarrensolo da kurz vor Ende – das hat schon ein bisschen was von Prince, oder nicht? Das Geflirte dieses Albums mit dem Zeitgeist der 80er-Jahre zieht sich wie ein roter Faden durch die herausragende Produktion. Wenn es noch Beispiele benötigt: „Night Calling“, für das sich Miley Cyrus niemand Geringeren als Billy Idol mit ans Mikro eingeladen hat. Was soll ich sagen? Billy macht genau das, was man erwartet und idolt herum, als Duo liefern sie eine ziemlich flotte und eingängige Nummer ab, die auf einem Album von Billy Idol in der midnight hour nicht weniger gut funktioniert hätte. Come on!, sag’ ich mal.

Dua Lipa, Billy Idol oder Stevie Nicks – an prominenten Gästen mangelt es nicht

Das vorab ausgekoppelte „Midnight Sky“ ist die zweite Großtat dieses Albums, schwingt sich ebenfalls in Synth-Wave-Sphären auf, die andere, eher in diesem Gebiet beheimatete Künstler*innen gerne mal erreichen möchten. Wer sich einen Eindruck von Mileys Stimmgewalt verschaffen möchte – bitte sehr, das ist eine gute Möglichkeit dafür. Kudos bekommt sie alleine schon auch für die erste Strophe des Songs, in der sie singt: „Yeah, it’s been a long night and the mirror’s telling me to go home / But it’s been a long time since I felt this good on my own (Uh) / Lotta years went by with my hands tied up in your ropes (Your ropes) / Forever and ever, no more (No more)“. Das Gefühl, nach dem Ende einer gescheiterten Beziehung wieder auf die Piste zu gehen, das Leben zu spüren und sich die Nächte mit Exzessen welcher Art auch immer um die Ohren zu schlagen … nun, ich schätze, das kennen wir alle. Auf die ein oder andere Weise, in der ein oder anderen Ausprägung. Ganz groß diese Nummer und ein Ohrwurm der Sonderklasse! Es gibt diesen Song auch in dem „Edge of Midnight“ genannten Remix, für welchen Miley Stevie Nicks gewinnen konnte, die Frontfrau von Fleetwood Mac. Die nervöse Gitarre gewinnt hier noch einmal an Dominanz, die Stimmen ergänzen sich gut – aber ähnlich wie in „Prisoner“ überstrahlt Mileys kräftiges Organ den Gesang von Frau Nicks. Unterm Strich aber auch in dieser Form eine mehr als gelungene Nummer. Um abschließend noch ein Beispiel zu bringen: das gleichermaßen pfiffige wie anrüchige „Bad Karma“, das zusammen mit Joan Jett („I Love Rock’n’Roll“) entstanden ist.

Miley Cyrus - Prisoner (Official Video) ft. Dua Lipa

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„Plastic Hearts“ erweckt den Eindruck, sowohl Emanzipation als auch Befreiungsschlag zu sein von dem Leben, das Miley Cyrus bis dato führte – und den Erwartungen, die an sie gestellt wurden. Immer wieder ist der erhobene Mittelfinger nicht zu überhören; die Gäste, die sie sich für das Album eingeladen hat, als starke und unabhängige Persönlichkeiten, sprechen auch eine deutliche Sprache. Lässt man das mal außer Acht, bleibt mit „Plastic Hearts“ immer noch ein hochgradig gelungenes und unterhaltsames Pop-Album, das viel Spaß macht – und sich gleichberechtigt einreiht in das Schaffen offensichtlicher (musikalischer) Vorbilder wie eben Blondie, Cyndi Lauper oder von mir aus auch noch die frühe Madonna. Dass sich Miley Cyrus inhaltlich dabei im Wesentlichen um sich selbst dreht, fällt nicht negativ ins Gewicht. Die „Hannah Montana“-Generation freut sich über Identifikationspotential, alle anderen über Mucke, die b/rockt.

Drittes und letztes Geständnis an dieser Stelle: Wäre ich nicht über das anfänglich erwähnte Ross herabgestiegen und hätte die mir von Sonys Promo-Team zugeschickten Links zu Mileys Musikvideos angeklickt – mit dem Wissen von heute hätte ich das Gefühl, ein wirklich unterhaltsames Pop-Album verpasst zu haben. Ferner habe ich lernen dürfen, dass Miley Cyrus über eine sehr dynamische, sehr kräftige Stimme verfügt – und das in einem Maße, das mich für die Zukunft noch ein paar wirklich ganz große Hits vermuten lässt. Mit „Midnight Sky“, „Prisoner“ oder „Gimme What I Want“ hat sie derer schon mindestens drei abgeliefert; zudem untermauert sie diese These mit den mitgelieferten Coversongs von Blondies „Heart of Glass“ und „Zombie“ von den Cranberries. Nur für den Fall, dass während des eigentlichen Albums noch ein Restzweifel an ihrem Können bestanden haben sollte. In dieser durch Corona zusätzlich dunklen Jahreszeit kommt so ein funkelndes und schimmerndes Album gerade recht.

Cover des Albums "Plastic Hearts" von Miley Cyrus.
Erscheinungsdatum
27. November 2020
Band / Künstler*in
Miley Cyrus
Album
Plastic Hearts
Label
RCA International (Sony Music)
Unsere Wertung
4
Fazit
„Plastic Hearts“ erweckt den Eindruck, sowohl Emanzipation als auch Befreiungsschlag zu sein von dem Leben, das Miley Cyrus bis dato führte – und den Erwartungen, die an sie gestellt wurden. Immer wieder ist der erhobene Mittelfinger nicht zu überhören; die Gäste, die sie sich für das Album eingeladen hat, als starke und unabhängige Persönlichkeiten, sprechen auch eine deutliche Sprache. Lässt man das mal außer Acht, bleibt mit „Plastic Hearts“ immer noch ein hochgradig gelungenes und unterhaltsames Pop-Album, das viel Spaß macht – und sich gleichberechtigt einreiht in das Schaffen offensichtlicher (musikalischer) Vorbilder wie eben Blondie, Cyndi Lauper oder von mir aus auch noch die frühe Madonna. Dass sich Miley Cyrus inhaltlich dabei im Wesentlichen um sich selbst dreht, fällt nicht negativ ins Gewicht. Die „Hannah Montana“-Generation freut sich über Identifikationspotential, alle anderen über Mucke, die b/rockt.
Pro
Für Hörende, die Miley Cyrus bisher nicht auf dem Schirm hatten: Die Sängerin trumpft mit überraschend rauchiger, kräftiger Stimme auf
Mit "Midnight Sky" oder "Bad Karma" sind ein paar echt hochkarätige Popsongs an Bord
Viele prominente Gäste wie Dua Lipa oder Billy Idol
Kontra
Man *kann* es als negativ auffassen, dass sich Miley Cyrus inhaltlich auf diesem Album vor allem um sich selbst dreht
4
Wertung
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