Ein schwarz-weißes Foto der Band Pride And Fall.

Musikvorstellung: Pride And Fall – Red For The Dead – Black For The Mourning

Quelle: Pride And Fall / Facebook

Ehrlich gesagt, möchte ich ja kein Musiker sein. Machste immer das gleiche, meckern alle. Machste mal was anderes, wird auch gemeckert. Und wenn dir mal der ganz große Wurf gelingt – einer von der Sorte, bei dem Konsument*innen und Kritiker*innen auch nach Jahren noch glänzende Augen bekommen, wenn davon die Rede ist – dann wird alles, was du danach machst, an diesem Volltreffer gemessen. Und was passiert dann beim Nachfolgewerk? Richtig, es wird gemeckert. Die Herren Pride And Fall machen zwar seit Jahr und Tag tendenziell die gleiche Mucke, stets jedoch immer mit so viel frischen Ideen, um eine Gruppierung Meckerköppe schon mal auszuschließen, haben dafür aber andere Nöte: vor Jahren mal ein Album gemacht zu haben, das bis heute als das beste ihrer Karriere gilt, als Meilenstein einer ganzen Szene gar, und von dem gerne Mal behauptet wird, besser würde es wohl nicht mehr werden können. Was willste da machen? Die Musikerkarriere an den Nagel hängen? Oder einfach weitermachen, weil die kreativen Ideen noch lange nicht erschöpft sind und in die Welt hinausgetragen werden wollen? Die Norweger haben sich einmal mehr dazu entschieden, den Kampf gegen die selbst geschaffenen Windmühlen aufzunehmen. Und um das schon mal direkt vorwegzusagen: dieses Mal sind sie mit Bravour aus dem eigenen Schatten hervorgetreten. „Red For The Dead – Black For The Mourning“ ist aber noch mehr. Ein ganz heißer Anwärter auf das beste Album des Jahres im Bereich Düsterelektro zum Beispiel. Aber immer schön der Reihe nach.

Nur drei Jahre hat es dieses Mal gedauert, bis die Herren Pride And Fall aus dem schönen Norwegen einen Nachfolger zu ihrem letzten Album servieren. Wir erinnern uns: 2013 veröffentlichten sie „Of Lust And Desire“. Ein ganz famoses Stück düsterer Elektronik, das jedoch ein ganz deutliches Problem hatte: den übermächtigen Vorgänger. „In My Time Of Dying“ ist nicht nur eines der besten Düster-Electro-Alben aller Zeiten, sondern auch bisher das mächtigste Werk, dass die Norweger je veröffentlicht haben. Es war vermutlich völlig egal, was Pride And Fall als Nachfolger veröffentlichten – an den Erwartungen wäre vermutlich jeder Künstler bzw. jedes Album gescheitert. Und so überrascht es nicht, dass „Of Lust And Desire“ trotz seiner hohen Güte mitunter wieder ziemlich rasch aus den Playlisten vieler Konsument*innen verschwunden ist. Nun, nächstes Jahr feiert besagtes „In My Time Of Dying“ zehntes Jubiläum. Dieses Album nach wie vor in allen Ehren, aber es ist wirklich an der Zeit, das Gestern zu verlassen und nach vorn zu schauen. Denn das Trio aus Norwegen ewig auf diesem einen Album festzunageln, wäre unfair. Da würde man ja glatt so tun, als könnten sie nichts anderes. Was aber einfach nicht richtig ist, wie ihr neues Album „Red For The Dead – Black For The Mourning“ eindrucksvoll zeigt.

Legitimer Erbe von „In My Time Of Dying“ gesucht

Pride And Fall sind Sigve Monsen (Gesang), Per Waagen (Keyboards, Programming) und Svein-Joar Johnsen(Gitarre). Seit 2000 frickelt die Band in unveränderter Besetzung an ihrer Vision von Dark Electro. Immer ein wenig garniert mit EBM oder FuturePop. Vier, mit diesem hier fünf Alben sind nicht so übermäßig viel bisher. Offenbar gibt und gab es immer wieder andere Dinge, die sie von der Musik abhielten. Die mir vorliegenden Informationen ihres Labels Dependent reden nur von persönlichen Umbrüchen, Kämpfen und Qualen. Bedingungen, die es mitbrachten, mehrmals das ganze Produktionsequipment über Bord zu werfen und im Prinzip wieder bei null anzufangen. Sich etwas zu rebooten, quasi. Man könnte hiermit eventuell die stets vorhandene Traurigkeit, die Melancholie, die ihre Musik auszeichnet, erklären. Könnte man. Allerdings: Pride And Fall haben noch nie Gute-Laune-Musik gemacht. Der Umstand, dass sie elektronische Musik machen, oft in gehobenem Tempo, und ihre Beats tendenziell tanzbar wären, macht das Tun von PAF noch nicht zu Tanzflächenfüllern. Logo, in der Düsterszene ist es normal, finstere Themen und Stimmungen auch in flotter Elektronik zu verpacken. Diese Szene lebt zu großen Teilen davon. Und doch: wer aufmerksam zuhört oder mit der nötigen Empfindsamkeit ausgestattet ist, wird die Unterschiede heraushören. Und seien es nur feinste Nuancen, die ihre Musik von der ihrer Szene-Kollegen unterscheidet.

Ich zum Beispiel möchte zu PAF nicht tanzen. Die viel größere Wucht entfaltet dieses Album, wenn ich es so passiv wie nur möglich auf mich einwirken lasse, den vielschichtigen und mühevoll detailliert ausgearbeiteten Sound genieße und mich von den Stimmungen und Bildern mitnehmen lasse. Mitunter auch ganz ungeachtet textlicher Zusammenhänge.

Es liegt im Ermessen der Hörenden, den teilweise abgründigen Inhalten zu folgen, oder sich eher von der Musik einfangen zu lassen. Funktioniert beides. So wie beim Weltgerichtstriptychon des Malers Hieronymus Bosch, das mir in diesem Zusammenhang spontan in den Sinn kommt. Da kann man sich auch über die bunten Farben freuen. Oder über den Schrecken der dargestellten Hölle sinnieren und darüber, dass es für die wenigstens von uns Rettung gibt.

„Unser neues Album handelt genau davon: Es geht darauf um die Abgründe unseres Unterbewusstseins, mit der wir nie konfrontiert werden wollen, und um kalte Schauer, die uns über den Rücken laufen, wenn wir die Sonne zum letzten Mal untergehen sehen, ehe eine endlose Nacht beginnt.“

Das erste, was am neuen Album zwangsweise auffällt, ist der Titel. Den erklären die Norweger wie folgt: „So wie es im Rahmen einer alten chinesischen Begräbnistradition Brauch ist, tragen auch wir Schwarz, um uns vor den Geistern Toter zu schützen. Schwarz steht symbolisch für Trauer. Tote dürfen in jeder Farbe außer Rot beigesetzt werden. Tut man dies, werden sie in ihren Gräbern nie zur Ruhe kommen. Unser neues Album handelt genau davon: Es geht darauf um die Abgründe unseres Unterbewusstseins, mit der wir nie konfrontiert werden wollen, und um kalte Schauer, die uns über den Rücken laufen, wenn wir die Sonne zum letzten Mal untergehen sehen, ehe eine endlose Nacht beginnt“. Oh ja, Abgründe unseres Unterbewusstseins. Volltreffer, würde ich sagen.

Nehmen wir mal „Start Of A New Day“ als Beispiel. Mit bedrückenden Streichereinlagen starten sie hier los und eröffnen einen Song, der alsbald in die schweren, düsteren und gleichwohl bekannten Electro-Sounds übergeht. Und wenn Sigve hier singt: why can’t I sleep forever / only to pretend? und anschließend im Refrain erklärt I feel empty / All that’s left is my flesh / I need to rest / The pointing fingers send their last caress, dann kann man als sich als Konsument*in mit einem ausgeprägten Hang zu depressiven Stimmungen schon mal sehr ertappt fühlen. Oder bestätigt. Vielleicht auch irgendwas dazwischen. Dass Sänger Sigve auf diesem Album seine bisher wohl beste Leistung abliefert, intensiviert dieses Gefühl nur noch. Kloß im Hals incoming.

Aber es sind nicht nur solche Dinge, welche die Texte hervorrufen.

„Broken Men“ zum Beispiel lässt sich ganz bequem wie ein lyrischer Albtraum verstehen. Vielleicht ein bisschen mit religiösem Bezug versehen. Gesteigert noch in „Pale“, bei dem man schon mal auf die Idee kommt, PAF hätten Inspiration in den abwegigsten Ecken menschlicher Psychen gefunden. Ich meine die Sorte, wo sich ein Mensch einem anderen freiwillig anbietet, auf dass er ihn möglichst grausam aus dem Leben nehme, vielleicht zur Krönung noch verspeise. Broken, devoted at heart / Let me hear you say it / Slaughter, contagious at start / You’ve been gaging for it / Endless torture you want / I need you to say it / I’m no psycho killer. Wie Pride And Fall schon sehr richtig sagen: Abgründe, mit denen wir uns nie auseinandersetzen wollen. Manchmal reicht jedoch schon ein Blick in die Tageszeitung, um mit den schlimmsten Abscheulichkeiten konfrontiert zu werden. Wieder kommt mir Bosch in den Sinn.

Melancholie, Wut, Verzweiflung, Wahnsinn, Grausamkeit, reinigende Katharsis

Nicht nur düster und traurig können sie, die Norweger. Auf „The Sentiment Was False“ überraschen sie – mit einem brachialen Wutausbruch sondergleichen, der die Öhrchen klingeln lässt. Dabei fängt alles so vertraut an. Weite Synthie-Flächen, die üblichen, verzerrten Beats, ruhiger, beinahe friedlicher Gesang. Die Ruhe, vor dem Sturm, wie sich zeigt. Nach ungefähr zwei Minuten ergehen sich Pride And Fall in ein fast 20-sekündiges Krachinferno, das so klingt, alles seien alle verfügbaren Instrumente mit aller Macht, Härte und Geschwindigkeit gedroschen worden. So wie bei Metalstücken härtester Machart beinahe. Im übertragenen Sinne: hier wurde die Wut so richtig und mit voller Inbrunst in die Welt hinausgeschrien. Danach flacht der Sturm geringfügig ab, es bleibt dennoch bei einer wilden, wütenden Mischung aus Elektro, Gitarren und Gestampfe. Mit einer Spielzeit von mehr als siebeneinhalb Minuten ohnehin schon eins der längsten Stücke der Band, ist das hier das jenes, das stellvertretend für dieses Album genannt werden kann: Melancholie, Wut, Verzweiflung, Wahnsinn, Grausamkeit, reinigende Katharsis. Möglich, dass es einem besser geht, wenn man dieses Monster überstanden hat. Ich denke auch, dass wenn man einen wirklich beschissenen Tag hatte, dieser Track bestens dazu geeignet ist, den Frust abzubauen.

Und dann ist da ja noch der Titelsong selbst, mit dem die Band ihre leider nur neun Songs umfassende, musikalische Reise in die Unterwelt der menschlichen Seele schon wieder beenden. Dafür aber tun sie es mit einem wahren Feuerwerk an Details, die sie diesem Song haben angedeihen lassen. Zumal es dem Album ohnehin nicht an vielen spannenden Samples mangelt, die im ersten Moment gar nicht so wahrgenommen werden. Etwa wie in „Army Of Ghosts“ zum Beispiel, bei dem zu Beginn des Songs mit verfremdeten Kirchenglocken jongliert wird. Erstaunlich, wie das die Wirkung beeinflussen kann. In dem Zusammenhang: schon wegen der transportierten Stimmungen ist dieses Album nichts für nebenbei. Wer sich nicht mit der nötigen Aufmerksamkeit darauf einlässt, dem wird es größtenteils verschlossen bleiben, fürchte ich. Es braucht Zeit, Geduld und Aufmerksamkeit und ganz sicher mehr als nur einen Hördurchgang, bis es klickt macht und sich dieses Album in seinen faszinierenden, vielschichtigen Facetten vor seinen Hörer*innen ausbreitet. Was auch immer die Norweger noch an Musik abliefern mögen – in Zukunft sind es zwei Alben, an denen wir ihr weiteres Tun messen werden müssen. An „In My Time Of Dying“, logisch. Und an diesem hier. So klingt ein ganz großer Wurf. So klingt ein Begleiter für die Nächte, die man mit niemandem teilt. Kalt, einsam und endlos. Start the fight / I will close both my eyes / Flickering neon lights / When darkness comes.

Puh! Das neue Pride And Fall Album „Red For The Dead – Black For The Mourning“ muss man erst mal sacken lassen. Genau wie schon beim Vorgänger verweigert es allen den Zugang, die sich nur oberflächlich damit befassen. Mal nebenbei dudeln lassen ist nicht. Dafür ist es aber ohnehin auch viel zu schade. Mit jedem neuen Hördurchgang wächst dieses Album jedoch, mit jedem neuen Hördurchgang reift immer ein wenig mehr die Erkenntnis, was das Trio aus Norwegen hier für ein geniales Album wahrer, detailverliebter Düsterelektronik geschaffen hat. Dass Pride And Fall wohl für alle Zeiten zunächst an ihrem Überalbum „In My Time Of Dying“ gemessen werden – geschenkt. Dieses neue Album hier, es beinhaltet ein paar der eindrucksvollsten Songs, die sie in ihrer Karriere je geliefert haben. Unterm Strich mag es für einige vielleicht „nur“ zum zweitbesten Album ihrer Karriere gereicht haben – der Szene jedoch, in der sie sich bewegen, haben sie das vermutlich großartigste Werk dieses Jahres geschenkt. Ziemlich mächtig, ziemlich brachial, ziemlich düster und unheimlich intensiv. In meinen Ohren aber stellt es sich auf die gleiche Stufe wie „In My Time Of Dying“. Nach fast zehn Jahren wurde das aber auch mal Zeit.

Cover des Albums Red For The Dead Black For The Mourning von Pride And Fall.
Erscheinungsdatum
26. August 2016
Band / Künstler*in
Pride And Fall
Album
Red For The Dead - Black For The Mourning
Label
Dependent Records
Unsere Wertung
4.2
Fazit
Dass Pride And Fall wohl für alle Zeiten zunächst an ihrem Überalbum „In My Time Of Dying“ gemessen werden – geschenkt. Dieses neue Album hier, es beinhaltet ein paar der eindrucksvollsten Songs, die sie in ihrer Karriere je geliefert haben. Unterm Strich mag es für einige vielleicht „nur“ zum zweitbesten Album ihrer Karriere gereicht haben – der Szene jedoch, in der sie sich bewegen, haben sie das vermutlich großartigste Werk dieses Jahres geschenkt. Ziemlich mächtig, ziemlich brachial, ziemlich düster und unheimlich intensiv.
Pro
Sehr abwechslungsreich, sehr düster, teilweise auch sehr brachial
Nach fast 10 Jahren endlich ein würdiger Erbe zum Überalbum "In My Time Of Dying"
Kontra
Auch wenn es Songs gibt, die mehr als sieben Minuten lang sind - bissken mehr als gerade mal 9 Songs hätten es schon sein dürfen
4.2
Wertung
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