Eine Hand, die aus einem Gewässer heraus in die Luft gehalten wird und eine brennende Wunderkerze festhält.

20 Grad an Silvester

Foto: Kristopher Roller on Unsplash

Früher war der letzte Beitrag hier im Blog traditionell einer, der sich den Top-Alben des Jahres widmete. Dieses Mal nicht. Mir ist nicht danach. Das hat unter anderem damit zu tun, dass ich in diesem Jahr deutlich weniger Musik gehört habe, als es in vergangenen Jahren noch der Fall gewesen ist. Das soll keinesfalls als eine wie auch immer geartete Wertung der in diesem Jahr veröffentlichten Musik betrachtet werden. Ich hatte in diesem Jahr schlicht und ergreifend andere Dinge zu tun, am meisten mit mir selbst. Rückblende in den August, manche*r von Euch erinnert sich vielleicht noch, dass ich in jenem Sommermonat dachte, die Bloggerei an den Nagel hängen zu müssen.

Aber eigentlich ist der Grund ein anderer, warum ich dieses Jahr nicht die tollsten/besten/hörenswertesten Alben des Jahres als letzten Beitrag präsentiere. Vorhin erst habe ich wieder einen Wetterbericht gelesen. In einigen Teilen des Landes werden zum Jahreswechsel bis zu 20 Grad erwartet. 20. Grad. Ende Dezember. Einer Zeit, in der wir uns eigentlich den Arsch abfrieren müssten, wenn wir in luftiger Bekleidung die Bude verlassen. Vor allem im Südwesten des Landes besteht diese Gefahr wohl nicht. Und das erschüttert mich, offen gestanden. Die Klimakrise beschäftigt mich schon eine ganze Weile, aber anstatt uns direkt mit Extremen wie kürzlich in den USA oder Japan mit seinen drastischen Wintereinbrüchen zu überrollen, entwickelt sich das hierzulande scheinbar wie eine Krankheit, die sich sukzessiv entwickelt. Da kann man ruhig noch mal ein paar Taler in Böller investieren, ist ja alles noch nicht so wild hier. Das bisschen Hochwasser gelegentlich oder die bis auf die Flussbetten ausgetrockneten Flüsse im Sommer. Alles (offensichtlich kein) Schnee von gestern!

Als ich über diesen Artikel nachdachte, habe ich mich gefragt, was wohl die finale Botschaft sein könnte, die ich zum Jahreswechsel mitgeben könnte. Selbst einigermaßen ambivalent zwischen Zuversicht und Niedergeschlagenheit schwankend, fällt es mir zunehmend schwer, Mut und Mundwinkel hochzuhalten. Und die Klimakrise ist nur eines der Probleme, die das Tagesgeschehen bestimmen.

Seit mehr als 300 Tagen herrscht der Krieg in der Ukraine, die Gefahr einer nuklearen Eskalation schwebt nach wie vor über unser aller Köpfe. Als wäre das nicht schon genug, rasseln sich China und Taiwan ebenfalls wieder lautstark an den Säbeln. Dass es da noch nicht geknallt hat, ist wohl eher Glück als Vernunft. Der Möchtegern-Player da im Norden Koreas möchte ebenfalls mit den großen Jungs spielen und pupst ebenfalls seine immerwährenden Bedrohungen in die Welt und man ist sicher gut beraten, das ernst zu nehmen.

Weiterhin ist die Pandemie nach wie vor ein Thema, dazu gesellt sich der größte Krankenstand seit Anno dazumal, Knappheit von Medikamenten, speziell für Kinder, inklusive. Mich selbst hat es in diesem Jahr öfter umgewedelt, als ich Finger an den Händen habe und ja, Arschloch Corona war auch dabei. Möchte ich kein zweites Mal haben, eigentlich. Die Querdenker haben sich inzwischen auf den Russlandfeldzug eingeschossen, rechtsschwurbelnde Naghavigationssysteme werden wieder auf den großen Bühnen der Schwarzen Szene installiert und die Fans gockeln dem nach, als hätte Steve N. aus B. seinerzeit nicht diesen gefährlichen QAnon-Blödsinn herausposaunt. Und dann waren da auch noch diese Reichsbürger, die teilweise in ähnlichen Fahrwassern unterwegs waren und in ihren Umsturzfantasien ziemlich weit fortgeschritten waren. Elon Musk hat sich in diesem Jahr endgültig als der gefährliche Zündler enttarnt, der er vermutlich immer schon war und beste Beispiele dafür geliefert, warum ein einzelner Mensch nicht so reich werden darf. Die Verkehrs- und Mobilitätswende kommt nicht in die Gänge (das Einzige, was bisher einigermaßen in die richtige Richtung ging, das 9-Euro-Ticket nämlich, wurde direkt wieder einkassiert und von einem halb garen Nachfolger ersetzt), stattdessen sind mehr Autos auf deutschen Straßen unterwegs als jemals zuvor. Und die Jugend hat, entgegen vergangener Trends, wieder mehr zur Kippe gegriffen. Das Artensterben wird direkt meist gar nicht groß thematisiert, es sei denn, ein Fluss wie die Oder kippt aus bisher nach wie vor nicht so richtig überzeugend geklärten Gründen um. Und dann noch die Begleiterscheinungen des Krieges, Gas- und Strompreise, Inflation und wer weiß, was einem sonst noch Sorgenfalten ins Gesicht treibt. Vom Thema KI, das in sehr kurzer Zeit sehr wahrscheinlich sehr viele Jobs obsolet machen wird und wir noch keine Antwort auf die Frage „was dann?“ haben, fange ich gar nicht erst an.

Würde man es kurzfassen wollen, könnte man auch sagen: Alles scheiße, 2022 hat eigentlich so gar nichts besser gemacht als das ohnehin schon wenig berauschende 2021.

So. Wäre jetzt keine so frohe Kunde für den Jahreswechsel, oder? Was ich Euch aber stattdessen wirklich mitgeben möchte, ist folgendes: auch wenn es manchmal schwerfällt, auch wenn man man vielleicht zweifelt, was man als einzelner Mensch ausrichten kann, eine Sache geht immer: die Hoffnung bewahren. Die Hoffnung darauf, dass die Dinge besser werden, dass wir schlussendlich die Kurve doch noch kriegen. Die Hoffnung darauf, dass vielleicht ganz plötzlich wirklich eine bahnbrechende Technologie ersonnen wird, die in Windeseile und erforderlichem Maßstab CO₂ aus der Atmosphäre saugt. Die Hoffnung darauf, dass die soziale Ungerechtigkeit ausgemerzt wird und so weiter. Es gibt so viele Dinge, auf die es sich zu hoffen lohnt. Und ganz viel Gutes passiert auch, es verkauft sich nur nicht so gut wie die dramatischen Schlagzeilen und geht daher gerne mal im Getöse unter.

Denn, auch wenn man das schnell mal aus dem Blick verliert: 2022 war nicht alles für die Katz. So haben bei den Midterms in den USA die Republikaner nicht den erdrutschartigen Sieg eingefahren, der überall befürchtet worden war und Amerikaner ist noch nicht komplett als radikaler Gottesstaat verloren. Auch wenn in Italien und Schweden in diesem Jahr rechte Kräfte die Macht übernommen haben – in Brasilien hingegen hat man festgestellt, dass Rechts noch weniger Lösungen hat als der Rest und hat Bolsonaro abgewählt. Knapp möglicherweise, aber eben doch. Der Ukraine-Krieg brachte es mit sich, dass wir in Rekordzeit unabhängig geworden sind von russischem Gas (Danke, Robert!). Dass wir dafür andere Kröten schlucken mussten, betrachte ich an dieser Stelle als notwendiges Übel, wenngleich mein grünes Herz dabei natürlich ein bisschen blutet. Zahlreiche Menschen in diesem Land haben sich auf bewegende Weise mit den Menschen in der Ukraine solidarisiert, haben gespendet, Flüchtende bei sich aufgenommen und so vieles mehr, was zeigt, dass die viel beschworene soziale Kälte in diesem Land noch nicht Überhand genommen hat. Ein niederländisches Start-up hat ein Verfahren entwickelt, um mittels Blubberblasen Flüsse zu reinigen, Schottland verzeichnet wieder so viel Wald wie zuletzt vor 1000 Jahren, in Neuseeland wird man sich mittelfristig der Zigaretten entledigen und die tapferen Frauen im Iran kämpfen einen unfassbar mutigen Kampf gegen das dort herrschende Regime, wohl wissend, dass es sie das Leben kosten könnte. Und was wird es wohl sein, dass die Frauen im Iran primär antreibt? Die Hoffnung darauf, dass sich die Situation für sie in ihrem Land bessert.

Und damit möchte ich diesen Text zum Abschluss bringen. Nehmt die Hoffnung mit ins neue Jahr. Sie kann die Triebfeder für so viele positive Dinge sein, mit der sich die Welt zum Besseren verändern lässt.

In diesem Sinne – kommt gut, gesund und munter ins neue Jahr!

The Crystal Method - "Keep Hope Alive" [Official Video]

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