Ein Portrait von Natalie Walker. Sie trägt ein ärmelloses Kleid und befindet sich in einem Garten voller blühender Kirschblüten.

Musikvorstellung: Natalie Walker – With You

Foto: Dorado Records

Manchmal möchte ich mich schon aufregen. Manchmal wurmt es mich nämlich, dass es Musikerinnen wie Lady Gaga schaffen, zu uns herüberzuschwappen, während so manches Juwel jenseits des wirklich großen Teiches dem deutschsprachigen, potenziellen Publikum vorenthalten bleibt. Mein aktuelles Lieblingsbeispiel dafür: Natalie Walker, die mit ihrem zweiten Album „With You“ eines der großartigsten Alben der Popgeschichte abgeliefert hat – und keiner hier weiß davon. Das kann ja wohl so nicht bleiben, höttma!

Zunächst mal ist Natalie Walker im Hauptfach eine Sängerin. Aber gut, das muss noch nix heißen. Hübsche junge Frauen, die sich zum Musik machen berufen fühlen, gibt es im Musikbusiness ja so einige. Allerdings so manches Mal mit zweifelhaftem Talent. Nun kann Frau Walker aber nicht nur gut singen, sie hat auch noch als Songschreiberin ein unfehlbares Händchen für alternativ angehauchte Popsongs mit dezent melancholischer Note. „With You“ ist bereits das zweite Album der ehemaligen Sängerin der Trip-Hop Formation Daughter Darling, welches bislang leider nicht offiziell den Weg nach Deutschland gefunden hat. Wer sich allerdings mal näher mit dem musikalischen Schaffen dieser Künstlerin beschäftigt, kommt irgendwann unweigerlich zu der Frage: warum eigentlich?

Gnadenlos schön, unglaublich bezaubernd

Denn das, was Natalie Walker mit „With You“ abliefert, ist so gnadenlos schön, so unglaublich bezaubernd und ergreifend, dass man sich fragen muss: Traut man den Deutschen tatsächlich so wenig Geschmack zu, dass man ein solches Juwel zeitgenössischer Popmusik vorsichtshalber lieber gleich gar nicht erst in der Bundesrepublik veröffentlicht? Zum Zeitpunkt dieses Reviews ist „With You“ nämlich nur via Import über Amazon, über eBay oder als mp3-Download bei iTunes erhältlich. Und es kann mir doch niemand erzählen, dass nicht schon mal jemand aus der A&R-Abteilung eines Musiklabels darauf gestoßen (worden) wäre! Die werden schließlich, ganz im Gegensatz zu mir übrigens, für Perlentaucherei bezahlt.

Wenn ich jetzt mal bildhafte Sprache bemühen dürfte, dann würde ich sagen, „With You“ gleicht einem sentimentalen, melancholischen Roadtrip-Movie, ohne jedoch den Hörer mit unnötiger Schwermut platt zu walzen. „With You“ ist ja, wie bereits erwähnt, das zweite Album der Sängerin aus Avon, Indiana (USA) und hier hat sie gegenüber dem Solo-Debüt „Urban Angel“ ein kleines bisschen am Tempo geschraubt. Dennoch: Eröffnet wird das Album vom bittersüßen „Lost My Shadow“, das als Einstieg kaum hätte passender sein können. Eine ruhige, von dezenten elektronischen Spielereien begleitete Ballade, in welcher Walker einer verlorenen Liebe nachtrauert. Unter Musikjournalist*innen heißt es ja, dass ein Album innerhalb der ersten drei Songs begeistern muss, andernfalls kann wohl auch der Rest nicht mehr viel retten. Nun, was soll ich groß herumschwafeln? Bereits zum Auftakt eine perfect 10. Bidde.

Direkt danach folgt eines DER Highlights dieses wunderschönen Albums: „Pink Neon“, ein tempomäßig gesteigerter Trip durch die Nacht, bei der man sich schnell mal unweigerlich in den Leuchtreklamegewittern einer nächtlichen, anonymen Großstadt verloren fühlt. Generell hat ein Natalie Walker ein Talent dafür, Stimmungen von Einsamkeit, in diesem Fall aber nicht gleichbedeutend mit Hoffnungslosigkeit, zu erzeugen. Viel mehr ist es fast so, als blickte sie mit ihren stahlblauen Augen direkt in die Seele des modernen Großstadtmenschen, der auf der Suche nach seinem Platz in der Gesellschaft, vor allem aber im Leben mit all seinen Facetten ist. „Now Or Never“ ist auch ein wunderbares Beispiel dafür. Natürlich gibt es bei aller Leichtigkeit inmitten des Schwermuts auch herzergreifende Stücke, die einem einen spürbaren Klos im Hals verschaffen. „By And By“ ist so einer dieser Songs. Liebe Leute, so unter die Haut gehend hat man schon seit seeeeehr langer Zeit nicht mehr Abschied genommen vom (besungenen) eigenen Leben.

Sind es nun die cleveren, überraschenden, erfrischend neuen Arrangements und Klangkonstrukte, die dieses Album zu solch einem Highlight machen? Die irgendwo zwischen Maria Taylor und Sarah McLachlan rangierende Stimme? Die gefälligen Lyrics, die sich so wohltuend von der so weit verbreiteten 0815 Schmalzpoesie abheben? Vielleicht auch die Mischung aus alledem? Ich weiß es nicht. Muss ich für den Genuss aber auch gar nicht.

Wäre ich schon 2008, also im Erscheinungsjahr, auf dieses Album gestoßen, hätte es einen der oberen fünf Plätze meiner letztjährigen Top-Alben-Charts belegt! Und mir könnte spontan das Herz bluten angesichts der Tatsache, dass es in diesem unserem schönen Lande so wenig Leute geben wird, die in den Genuss dieses Albums kommen werden – sofern sie nicht den „Umweg“ über iTunes oder Import gehen. Daher an dieser Stelle die dringende Empfehlung: Bemüht eine der genannten Quellen und legt Euch dieses Album zu, wenn Euch an Popmusik, die die Genre-üblichen Grenzen mal eben im Spaziergang überwindet, etwas liegt. Liebe Geschmacksmenschen, ich will an dieser Stelle schließen mit den Worten eines großen, allseits bekannten Burger-Braters: Ich liebe es.

Cover des Albums With You von Nathalie Walker.
Erscheinungsdatum
19. August 2008
Band / Künstler*in
Nathalie Walker
Album
With You
Label
Dorado Records
Unsere Wertung
3.4
Fazit
Wäre ich schon 2008, also im Erscheinungsjahr, auf dieses Album gestoßen, hätte es einen der oberen fünf Plätze meiner letztjährigen Top-Alben-Charts belegt! Und mir könnte spontan das Herz bluten angesichts der Tatsache, dass es in diesem unserem schönen Lande so wenig Leute geben wird, die in den Genuss dieses Albums kommen werden – sofern sie nicht den „Umweg“ über iTunes oder Import gehen. Daher an dieser Stelle die dringende Empfehlung: Bemüht eine der genannten Quellen und legt Euch dieses Album zu, wenn Euch an Popmusik, die die Genre-üblichen Grenzen mal eben im Spaziergang überwindet, etwas liegt.
Pro
Arrangements, so schön, so zart, man möchte schmelzen
Latent alternative Pop-Musik, die sich wohltuend vom Mainstream abhebt
Kontra
Dafür kann Nathalie Walker nichts, aber hierzulande wird es derzeit eher kompliziert, in den Genuss des Albums zu kommen
3.4
Wertung
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