Ein Foto von Moby, das halb von der Seite aufgenommen wurde. Er trägt ein weißes T-Shirt und hält sich die linke Hand ans Kinn und wirkt dabei so, als würde er über irgendetwas nachdenken.

Musikvorstellung: Moby – Reprise

Foto: Travis Schneider

Als es hieß, Moby würde einige Songs seines umfangreichen Schaffens auswählen, diese neu arrangieren und vom Budapest Art Orchestra einspielen lassen, hatte ich im Vorfeld eine gewisse Vorstellung, wie das Ergebnis klingen würde. Ich stellte mir vor, es würde ganz schwere und bedeutungsschwangere Musik aus den Boxen fließen an Stelle des gewohnten (Electro-)Pop und Raves, der Moby eben eigen ist. Was soll ich groß um den heißen Brei herumschreiben: Es war einmal mehr ein klassischer Fall von „Denkste!“. Mobys „Reprise“ ist so viel mehr geworden als ein schlichtes Einkleiden geliebter Immergrüne in ein klassisches Gewand. Es ermöglicht ein völlig neues Erleben altbekannter Klassiker, die in dieser Darreichungsform durchaus hinzugewinnen.

Ich hatte es in den News, in welchem die Veröffentlichung des Albums angekündigt wurde, schon einmal kurz angerissen, wiederhole mich hier der Vollständigkeit wegen aber gerne: Mit dem Begriff Reprise wird in der modernen Pop-Musik für gewöhnlich das erneute Aufgreifen eines musikalischen Themas in spärlich instrumentierter Fassung bezeichnet. Wenn ein Album so etwas wie DEN Knüllersong (jedenfalls nach Auffassung der Schaffenden) beinhaltet, dann wird zum Ausklang dieses Albums gerne mal eine akustische, reduzierte und/oder orchestrale Fassung dieses Songs bereitgestellt. Meistens deutlich kürzer und oft auch ohne Gesang. In Bezug auf das nun vorliegende Album von Moby meint der Titel des Albums also: man nehme einige der größten Klassiker des New Yorkers (das ist also das „Aufgreifen“) und mache aus ihnen quasi neue Songs (sprich: „Umwandeln“).

„Es mag selbstverständlich klingen, doch für mich liegt der Sinn und Zweck von Musik im Vermitteln von Emotionen, im Teilen eines Aspekts der menschlichen Verfassung mit jemandem, der gerade zuhört.“ (Moby)

Über seine Motivation hatte Moby bereits im Vorfeld erklärt: „Es mag selbstverständlich klingen, doch für mich liegt der Sinn und Zweck von Musik im Vermitteln von Emotionen, im Teilen eines Aspekts der menschlichen Verfassung mit jemandem, der gerade zuhört. Ich sehne mich nach der Einfachheit und Verletzlichkeit, die man mit akustischer oder klassischer Musik erreichen kann.“

Der Grundstein für dieses Album, das übrigens auch so viel mehr ist als eine „Best Of“-Zusammenstellung began bereits im Jahre 2018, als Moby zusammen mit seinem Freund Gustavo Dudamel und dem Los Angeles Philharmonic in der Walt Disney Concert Hall ein klassisches Konzert spielte. Wer nun fürchtet oder vermutet, die Songs auf „Reprise“ würden genau das tun, was ich eingangs ebenfalls vermutete – nämlich schwer und bedrückend und sooo voller Bedeutung aus den Boxen schallen – kann sich an dieser Stelle beruhigen lassen. „Reprise“ will mehr, „Reprise“ kann auch mehr.

Foto: Travis Schneider

Wenn die Rede davon ist, dass Musik mit einem klassischen Orchester eingespielt wird, dann habe zumindest ich oft die Vorstellung, ein ganzes Heer Streicher würde sich auf die vorliegenden Songs stürzen und die in Pomp und Pathos förmlich ertränken. Dabei kann man orchestral noch so viel mehr machen. Und dass Moby akustisch und klassisch in einem Satz verwendet, kommt nicht von ungefähr und sollte auch nicht überlesen werden. Der Opener „Everloving“ wirkt mit dem zarten Einsatz von Streichern und Klavier tatsächlich zunächst so schwer und niederschmetternd, wie vermutet/befürchtet (je nach persönlicher Neigung). Dass wir zusätzlich aber auch noch Akustikgitarre sowie später auch Schlagzeug zu hören bekommen, während sich das Lied zu einem fulminanten Finale aufbäumt, das macht schon direkt zum Einstieg deutlich, dass hier etwas anders läuft, als man es sonst oft bei diesen Pop-zu-Klassik-Transformationen erlebt.

Von Gregory Porter bis Víkingur Ólafsson – viele Gäste garantieren viel Abwechslung

„Natural Blues“ zusammen Gregory Porter & Amythyst Kiah als anderes Beispiel legt ein fetziges Tempo an den Tag und hat erinnert an eine flotte Gospel-Nummer. Meister Moby ist auf diesem Song überhaupt nicht zu hören, sondern überlässt das Feld gänzlich seinen Gästen. Das ist übrigens ohnehin ein weiterer großer Pluspunkt dieser Veröffentlichung: Das vornehme Zurücknehmen der Person Moby zugunsten von Gastsänger:innen und -musiker:innen und um vor allem die Songs für sich sprechen zu lassen. An prominenten Namen mangelt es „Reprise“ nicht. Neben den bereits erwähnten versammelte Moby auf dieser ganz besonderen Werkschau Alice Skye, Apollo Jane, Darlingside, Jim James, Kris Kristofferson, Luna Li, Mark Lanegan, Mindy Jones, Nataly Dawn, Skylar Grey und Víkingur Ólafsson.

Natürlich ist auch Moby selbst dann und wann zu hören, beispielsweise auf der ergreifend schönen Variation von „Extreme Ways“, in der bekannten Version durch die Verwendung in den „Jason Bourne“-Filmen längst zu einem Klassiker avanciert. Auch wenn der Gesang offenbar neu aufgenommen wurde, so tönt Moby hier auch so wie im Original. Sprich: mit einem Effekt auf der Stimme, der ihn klingen lässt, als sänge er aus einem alten Kofferradio oder dergleichen zu uns herüber.

Mindy Jones intoniert „Heroes“, im Original von David Bowie, und fügt der Liste gelungener Coversongs dieser Nummer einen weiteren, höchst bemerkenswerten Eintrag hinzu. Die Kombination aus flüchtigem Klavierspiel und zerbrechlicher Stimme lässt diese Version von „Heroes“ so zart und fragil wirken, dass schnell der Eindruck entsteht, die Töne würden wie Eis in der Sonne schmelzen, sobald sie die Ohren der Hörenden erreicht hätten. Falls die Frage aufkommt, warum ausgerechnet ein Bowie-Song auf dieser Werkschau von Moby auftaucht – der ebenfalls heute veröffentlichte Dokumentarfilm „MOBY DOC“ über Mobys bewegtes Leben gibt hier möglicherweise eine erfüllende Auskunft.

Ganz anders „The Lonely Knight“ mit Mark Lanegan und Kris Kristofferson an den Mikrofonen. Zwei der markantesten, rauchigen Reibeisenstimmen der internationalen Musiklandschaft geben hier ihr Stelldichein und schnell wähnt man sich irgendwo an einem Lagerfeuer in Amerikas Salzwüste, den Lebensweisheiten und Geschichten zweier alter Haudegen lauschend und Kaffee aus einem Emaille-Pott trinkend. An Möglichkeiten, Assoziationen zu entwickeln, die Gedanken auf Reisen zu schicken, in Erinnerungen und Träumen zu versinken, daran mangelt es diesem Album wahrlich nicht.

Foto: Travis Schneider

Mobys Musik war nie die fröhlichste, was im Hinblick auf seine Biografie (als er 2 Jahre alt ist stirbt sein Vater; seine Ma als er 20 ist, Drogensucht, Depressionen, Selbstmordversuch im Jahre 2008) aber auch wenig überrascht. „Reprise“ hätte hier aus dem Vollen schöpfen und seine Hörer:innen mit Schwermut überrumpeln können. Erfreulicherweise ist der ganz große Depri-Hammer aber nicht herausgeholt worden. „Reprise“ ist melancholisch, ja, ein bisschen bittersüß auch, aber unterm Strich ist es diese Form von Melancholie, der man sich dann und wann gerne mal hingibt, während man bei einem Glas Wein alte Fotos anschaut oder einfach nur die Gedanken treiben lässt. Übrigens sind die Songs nicht so sehr umgemodelt worden, dass es zu Erkennungsschwierigkeiten käme. Sound & Feel, so nenne ich es mal, sind erhalten geblieben.

Ein wenig bleibt die Hoffnung, dass Moby derart gefallen an dieser Transformation seines Schaffens gefunden hat, dass noch eine weitere Reprise folgt. Mit 15 Studioalben und mindestens noch einmal genauso vielen Singles ist sicher noch genug potenzielles Material vorhanden. Allein sämtliche Songs des Albums „18“ würden sich für eine entsprechende Umsetzung anbieten. Bis es aber vielleicht eines Tages so weit ist, kann man mit „Reprise“ viel Freude haben – und das mit Hochgenuss. Und sollte es tatsächlich ein Einzelstück bleiben, dann wird man sich irgendwann ganz gewiss an dieses Album als ein ganz besonderes erinnern.

Es wäre ziemlich leicht, ob der Ankündigung, Moby macht jetzt auch irgendwas mit Klassik, mit den Augen zu rollen. Etwas zu inflationär ist in den vergangenen Jahren versucht worden, Dinge zu vereinen, die zunächst nicht miteinander kompatibel zu sein scheinen. Wer sich in der Düsterszene bewegt, wird das Gothic meets Klassik sicher kennen. Auch eines dieser Konzepte, die anfangs spannend waren, aber nachdem (Achtung, Übertreibung!) sich inzwischen einmal die komplett versammelte Düsterszene den Notenständer in die Hand gegeben (und nicht selten auch ein entsprechendes Album veröffentlicht) hat, ist mäßige Begeisterung wenigstens zu Anfang nicht überraschend. Moby wäre aber vermutlich nicht Moby, wenn er sich darauf beschränken würde, das zu machen, was alle gemacht haben. „Reprise“ vereint Klassik mit Akustik und weicht schon allein dadurch vom Einheitsbrei ab. Und dass so viele Songs ohne seine hörbare Beteiligung in Form von Gesang auskommen, sondern oftmals ausschließlich seine Gäste zu hören sind, ist ein außergewöhnlich cleverer Schachzug. Es lässt Songs, die mitunter vielleicht schon bis zur Schmerzgrenze gedudelt wurden, in ganz neuem Glanz erstrahlen. Ach, was red’ ich, wie ganz neue Lieder wirken! Mobys „Reprise“ ist also im besten Falle unerhört – und das zu ändern ist die abschließende, wärmste Empfehlung meinerseits.

Cover des Albums Reprise von Moby.
Erscheinungsdatum
28. Mai 2021
Band / Künstler*in
Moby
Album
Reprise
Label
Deutsche Grammophon (Universal Music)
Unsere Wertung
4.6
Fazit
Moby wäre aber vermutlich nicht Moby, wenn er sich darauf beschränken würde, das zu machen, was alle gemacht haben. „Reprise“ vereint Klassik mit Akustik und weicht schon allein dadurch vom Einheitsbrei ab. Und dass so viele Songs ohne seine hörbare Beteiligung in Form von Gesang auskommen, sondern oftmals ausschließlich seine Gäste zu hören sind, ist ein außergewöhnlich cleverer Schachzug. Es lässt Songs, die mitunter vielleicht schon bis zur Schmerzgrenze gedudelt wurden, in ganz neuem Glanz erstrahlen. Ach, was red’ ich, wie ganz neue Lieder wirken! Mobys „Reprise“ ist also im besten Falle unerhört – und das zu ändern ist die abschließende, wärmste Empfehlung meinerseits.
Pro
Moby macht nicht nur Klassik, er macht hier auch Akustik - und weicht damit vom inzwischen nur allzu bekanntem Schema ab
Viele hochkarätige Gaststars, denen Moby oft das Mikrofon überlässt, ohne selbst zu hören zu sein
Durch die neuen Arrangements und die neuen Vocals wirken die Songs ganz neu und unverbraucht
Auch der Umfang geht in Ordnung, wenn auch der Wunsch nach "mehr davon" bleibt
Kontra
4.6
Wertung
Vorheriger Artikel

BOY veröffentlichen am 28. Mai 2021 neue Single „Fit Back In“, Coverversion von „Bette Davis Eyes“ schon jetzt

Nächster Artikel

CHVRCHES veröffentlichen Single mit The Cure-Frontmann Robert Smith, neues Album „Screen Violence“ kommt im August 2021

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Lies als nächstes