Konzertfoto von Blutengel. Ulrike Goldmann (auf der linken Seite im Bild) steht Chris Pohl (auf der rechten Seite im Bild) gegenüber und singt mit geschlossenen Augen, in der rechten Hand hält sie ein Mikrofon.

Musikvorstellung: Blutengel – Nemesis: Best Of & Reworked

Foto: Sideshowmick / Avalost

In jeder länger laufenden Karriere von Musiker*innen oder einer Band kommt eines Tages der Punkt, an dem sie so lange im Geschäft sind, dass eine Best-Of-Zusammenstellung Sinn macht. Sicherlich: wir haben auch schon Fälle gesehen, wo eine solche „Werkschau“ schon nach nur zwei Alben in die Welt gesetzt wurde. Bei den Berliner Düsterpopper Blutengel sieht die Sache aber ein wenig anders aus. Nach inzwischen fast 20 Jahren des Bestehens, zehn Alben und diversen Singles und EPs kann man wirklich mal eine Best-Of raushauen. Dachte man sich ganz offensichtlich auch in Berlin und kam kürzlich mit „Nemesis: The Best Of & Reworked“ um die Ecke. Zum Einstieg für neue Fans ist eine solche Zusammenstellung stets ein prima Mittelchen. Aber wie sieht es aus bei denen, die schon alles haben, weil sie den Weg der Band bereits viele Jahre mitgehen – lohnt sich die Anschaffung dennoch? Aber ja doch.

Best-of ist nicht gleich Best-of. Zum einen gibt es da diese ätzenden „quick & dirty“-Lösungen. Meist ohne Zutun der entsprechenden Künstler*innen wird ein Silberling auf den Markt geschmissen, wo Single-Erfolge und diverses Füllmaterial versammelt werden, um noch mal eine schnelle Mark zu machen. Findet sich immer wieder in den Regalen der Tonträgerhändler. Wer hier Geldschneiderei unterstellt, liegt meist nicht ganz falsch.

Dann gibt es Best-Of-Zusammenstellungen, bei denen die betreffenden Künstler*innen selbst Hand angelegt haben, was die Auswahl der Titel betrifft. Meist haben wir es hier mit einem ausgewogenen Verhältnis zu tun, was die Fan-Lieblinge und die Songs, die den Künstler*innen selbst irgendwie wichtig sind, angeht. Wenn das dann noch angereichert wird durch ein Booklet, das erklärt, wieso, weshalb und warum sich ausgerechnet diese Titel und nicht irgendwelche anderen auf der CD befinden, ist dagegen nicht mal was zu sagen.

Und dann gibt es noch Zusammenstellungen, bei denen die Songs nicht einfach nur so hergenommen werden, wie man sie seit Jahr und Tag kennt, sondern sie in ein neues, modernisiertes Soundgewand gesteckt wurden. Für dieses Vorgehen hat sich Chris Pohl für seine Blutengel-Werkschau namens „Nemesis“ entschieden. Anstatt einfach nur die Fan-Lieblinge auf einen Silberling pressen zu lassen, hat er sich die Frage gestellt: Was wäre denn, wenn man alte Klassiker wie etwa „Children Of The Night“ mit den Möglichkeiten von heute neu einspielen würde? Das Ergebnis liefert diese Best-of. Und vor allem: Das Ergebnis kann sich hören lassen!

In der Standardfassung von „Nemesis“ sind es 12 Songs, die Chris Pohl überarbeitet hat. Darunter solche Gassenhauer wie „Engelsblut“ oder „Reich mir die Hand“, wobei sich hier die Modifikationen gegenüber den Originalen in Grenzen halten. Logisch, die wurden ja schon mit deutlich mehr Möglichkeiten aufgenommen als die Tracks, die etwa dem zweiten Album „Seelenschmerz“ entnommen wurden. So bekommen wir hier ein Wiederhören mit „Bloody Pleasures“, „Die With You“ oder „Children Of The Night“, die in ihrem neuen, mitunter gitarrenlastigeren und somit fast an Terminal Choice erinnernden Klangkostüm die Fans ansprechen und abholen dürften, die erst später zugeschaltet haben. Meine Güte, wie gut das Album „Seelenschmerz“ damals schon war! Wie gut die Songs gealtert sind und durch diese Frischzellenkur einen neuen Frühling erfahren! Gerade „Die With You“ gewinnt in der neuen Fassung richtig, klingt es doch ungleich dramatischer als das Original. Schön auch, dass es ein Wiederhören mit ewig nicht gehörten Immergrünen wie „Der Spiegel“ oder „Black Roses“ gibt. Es ist schon faszinierend zu erleben, wie Ulrike Goldmann die Songs, deren weibliche Gesangsparts ursprünglich von anderen Sängerinnen eingesungen wurden, durch ihre nach wie vor sehr überzeugende Performance zu ihren Songs macht. Nix gegen Constance Rudert, aber ein „Black Roses“ ist mit dem Beitrag von Ulrike doch noch mal eine ganz andere Hausnummer. Die Auswahl von Titeln wie „Behind The Mirror“ oder „Weg zu mir“ wird wohl nicht nur mich überraschen. An sich ist es aber positiv zu werten, dass Herr Pohl bei der Auswahl der Songs nicht ausschließlich auf die größten Gassenhauer gesetzt hat.

Insgesamt betrachtet ist „Nemesis“ eine gelungene Werkschau geworden. Fans, die nicht von Anfang an dabei waren, bekommen eine ordentliche Ladung Klassiker in neuem Gewand geliefert, Fans der ersten Stunde freuen sich über ein Wiederhören mit ebendiesen. Einzig schade: Die Alben „Demon Kiss“ und „Labyrinth“ wurden wenig bis gar nicht bedacht. Und auch wenn Blutengels größter Wurf, „Seelenschmerz“, in der Deluxe-Fassung von „Nemesis“ wenigstens in der Klassikversion  von „Black Symphonies“ dargereicht wird – eine entsprechende Überarbeitung wäre das Tüpfelchen auf dem i gewesen. Aber das kommt ja vielleicht noch. Bei der nächsten Best-of.

Ich möchte an dieser Stelle nicht das ewige Pro und Contra zum Thema Blutengel anstoßen. Wer, aus welchen Gründen auch immer, mit dem Treiben der Berliner Düster-Pop-Band nichts anfangen kann, der wird auch hier einmal mehr nicht bekehrt werden können. Für alle anderen jedoch hat Chris Pohl hier meines Erachtens alles richtig gemacht. Anstatt einfach nur eine lieblose Zusammenstellung von den live am meisten gefeierten Songs – und davon gibt es so einige – auf den Markt zu hauen, überrascht „Nemesis“ durch die Auswahl der Titel und ihre hörbar liebevolle Überarbeitung. Den ein oder anderen Song vermisse ich zwar, so zum Beispiel neben dem genannten „Seelenschmerz“ auch „Angels Of The Dark“ von „Demon Kiss“, das tut der Sache jedoch keinen Abbruch. Dafür haben andere Titel den Weg auf „Nemesis“ gefunden, bei denen Hörer*innen der ersten Stunde zwangsläufig anerkennend nicken müssen. Damit erreicht „Nemesis“ einmal mehr das, was schon mit dem Klassikalbum „Black Symphonies“ erzielt wurde: dass sich die altbekannten Hits frisch und neu anfühlen. Und das, liebe Blutengel-Fans und -Gegner*innen, schafft ganz sicher nicht jede Best-of.

Cover des Albums Nemesis von Blutengel.
Erscheinungsdatum
26. Februar 2016
Band / Künstler*in
Blutengel
Album
Nemesis: Best-Of & Reworked
Label
Out of Line
Unsere Wertung
3.9
Fazit
Anstatt einfach nur eine lieblose Zusammenstellung von den live am meisten gefeierten Songs - und davon gibt es so einige - auf den Markt zu hauen, überrascht „Nemesis“ durch die Auswahl der Titel und ihre hörbar liebevolle Überarbeitung. Den ein oder anderen Song vermisse ich zwar, so zum Beispiel neben dem genannten „Seelenschmerz“ auch „Angels Of The Dark“ von „Demon Kiss“, das tut der Sache jedoch keinen Abbruch. Dafür haben andere Titel den Weg auf „Nemesis“ gefunden, bei denen Hörer*innen der ersten Stunde zwangsläufig anerkennend nicken müssen.
Pro
Haufenweise Klassiker in frischem Gewand
Kontra
Leider ohne "Seelenschmerz" oder "Angels of the Dark
3.9
Wertung
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