Portraitfoto von Emma Hewitt, sie streicht sich ihr blondes Haar mit der linken Hand zurück.

Musikvorstellung: Emma Hewitt – Ghost of the Light

Quelle: Emma Hewitt / Facebook

Elf Jahre sind inzwischen seit dem ersten (und bis vergangenen Freitag letzten) Solo-Album von Emma Hewitt ins Land gezogen. Das ist ein Zeitraum, in dem so unfassbar viel passiert ist, dass es eigentlich reichen würde, um die Spanne eines Menschenlebens zu füllen. Von den aktuellen Themen wie der Klimakrise, dem Krieg drüben in der Ukraine oder der Corona-Pandemie will ich gar nicht anfangen. In den vergangenen Jahren gab es noch viele weitere „Highlights“. Arabischer Frühling, Euro- und Flüchtlingskrise, Aufdeckung des NSU, die Enthüllungen von Edward Snowden, Deutschlands Sieg bei der Fußball-Weltmeisterschaft 2014, Terroranschläge in Paris, Abgasskandale, die Einigung auf das 1,5 Grad-Ziel (von dem wir immer noch weit entfernt sind), Brexit, Trump, der Tod David Bowies, immer neue Rekordtemperaturen und Künstliche Intelligenz. Um nur ein paar Schlagworte in den Raum zu stellen. Man sieht: an Gründen, aus Verzweiflung ob all der Krisen in der Welt die Farbe von der Wand zu beißen, mangelte es im vergangenen Jahrzehnt wahrlich nicht.

Und doch war nicht alles so schwarz, wie ich es hier gerade male. Gerade im Bereich Musik haben im vergangenen Jahrzehnt so unfassbar viele tolle Highlights das Licht der Welt erblickt, dass schon allein der Versuch zum Scheitern verurteilt wäre, hier auch nur wenige Beispiele zu nennen. Auch privat konnte ich mich nicht über einen Mangel an Action beklagen. Ich habe diesen Blog gegründet, eingestellt, wieder zurück ins Leben geholt, die Stadt und diverse Male die Jobs gewechselt, habe so viel von der Welt gesehen wie mir möglich war und bin irgendwann unterwegs Vater geworden. Ein kleines Geständnis: Ein Wunsch hat mich über all die Jahre begleitet. Nämlich der, Emma Hewitt möge bitte mit einem neuen Album um die Ecke kommen. Was lange währt, wird bekanntlich gut. Seit dem 19. Mai 2023 ist „Ghost of the Light“ erhältlich. Und das darf ich an dieser Stelle und nach der zugegeben länglichen Einleitung schon verraten: Es tröstet so sehr über viele Dinge hinweg, wie es mit Musik nur irgend möglich sein kann.

Zugegeben: so richtig weg war Emma Hewitt in den vergangenen Jahren nie. Immer wieder ist das ein oder andere Lied aus dem Trance-Bereich veröffentlicht worden, dem Emma ihre wahnsinnig schöne Stimme geliehen hatte. Zudem gründete sie mit Ilan Bluestone und Maor Levi das Projekt Elysian, das ebenfalls im Trance beheimatet ist. Zu vermuten, „Ghost of the Light“ wäre ebenfalls ein Trance-Album, das wäre gar nicht mal so abwegig. Es ist jedoch keins. Schon Emmas Debütalbum „Burn The Sky Down“ war ein abwechslungsreiches, vielschichtiges und atmosphärisches Pop-Album, bei dem Trance nur auf der Bonus-CD in Form zahlreicher, nicht minder spannender Remixe stattgefunden hatte. Es ist dies auch nicht so sehr überraschend, wenn man sich vor Augen führt, dass die musikalische Karriere der Australierin damit startete, dass sie zusammen mit ihrem Bruder Anthony Hewitt die Band Missing Hours gründete und mit eben dieser ein Album mit gefälligem Pop-Rock veröffentlichte.

Inzwischen hat man ihre Stimme bei vielen Projekten und Künstler*innen gehört, von Dash Berlin und Mark Sixma über Armin van Buuren und Cosmic Gate bis hin zu Schiller. Darüber hinaus ist sie auf etlichen Konzerten und Festivals rund um die Welt aufgetreten (nur scheinbar nie in Deutschland bisher). Es schien, als wäre ihr das genug und die Solo-Karriere an den Nagel gehängt worden. Im letzten Jahr jedoch kam die (vermutlich nicht nur von mir) lang ersehnte Ankündigung eines neuen Albums, das seitdem durch diverse Singles und Videos flankiert wurde. Um an dieser Stelle noch eine Binsenweisheit zu bemühen: gut Ding will Weile haben. Offensichtlich hat sich Emma alle Zeit gegönnt, die es brauchte, um ein Album von unfassbarer Schönheit zu schaffen. Okee, wenn es wieder ein Jahrzehnt bis zum nächsten Album dauert, dann muss die Halbwertszeit natürlich auch entsprechend hoch angesetzt werden.

Musik mit Gefühl

Sie eröffnet ihr neues Album mit „Into My Arms“, dem allerersten Vorboten des Albums. Es ist dies immer noch eine wunderschöne, ergreifende Pop-Ballade, die schon zu Beginn klarmacht, dass es Emma hier nicht um schnelle Beats und Tanzbarkeit geht, sondern um das Transportieren ganz großer Gefühle. Jedes einzelne der hier versammelten Lieder fühlt sich manchmal so flüchtig, so zart an wie Schneeflocken, die sich auf ausgestreckte Hände niedersetzen, einen kurzen Moment dort verweilen und dann schmelzen.

Diese großen Gefühle können beispielsweise eine undefinierbare Sehnsucht sein, nach einem Ort oder einer Zeit, nicht so richtig greifbar (Schneeflocken eben), aber so intensiv, dass es direkt ein bisschen sticht in der Brust. „Collide“, ebenfalls vorab ausgekoppelt, ist ein Paradebeispiel dafür. „And we’d fall / through the shadows / Weightless in the dark / Take me down that road / sometime again / Under winter stars / I wanna stay here“, singt Emma in dieser flotten Nummer und Kaskaden aus Erinnerungsfetzen stürzen auf mich ein. Überfordern mich auch ein bisschen. Und das jedes Mal wieder. Wie gesagt, mehr als zehn Jahre, seit ich Emmas Musik kennenlernte, sind eine unfassbar lange Zeit in dieser schnelllebigen Welt. Da sammelt sich so einiges an, was man so mit sich herumschleppt. Manchmal sogar genug, dass es für einen teilstationären Aufenthalt in einer Tagesklinik reicht. Emma drückt zumindest bei mir mit ihrer Musik auf zahlreiche Knöpfe. Ich kann mir vorstellen, dass es manchen von Euch ähnlich geht. Musik mit Gefühl, Musik zum Fühlen quasi.

Ganz wunderbar ist auch „Children“ gelungen, das aufgrund des latenten 80er-Jahre-Einschlags Emmas musikalische Vielseitigkeit nur einmal mehr demonstriert. Über ihr neues Album und dessen Veröffentlichung sagt Emma: „Ich fühle eine Welle von so vielen verschiedenen Emotionen auf einmal. Es ist all der Erfahrung gewidmet, die uns zu dem gemacht hat, was wir sind, und all den Erinnerungen, die leise an unserer Seite reisen. Ich hoffe, dass ihr in diesen Liedern etwas findet, das ihr auf eure eigene Reise mitnehmen könnt; auf all das, was wir verloren haben und noch finden werden …“ Treffer und versenkt, würde ich sagen. Ich habe keine Ahnung, wie sie das macht, aber es gelingt ihr mit ihren wunderbaren Kompositionen, mit ihren luftigen, leichten und vielseitigen Arrangements, der dynamischen Produktion und der immer und stets mitschwingenden, bittersüßen Melancholie genau das: Erinnerungen und Gefühle zu wecken, die lange vergessen schienen. So mancher tiefenpsychologische Ansatz könnte sich hier eine Scheibe abschneiden.

„Ich hoffe, dass ihr in diesen Liedern etwas findet, das ihr auf eure eigene Reise mitnehmen könnt; auf all das, was wir verloren haben und noch finden werden …“

15 Titel serviert Emma auf ihrem zweiten Album, verteilt auf eine Spielzeit von rund 48 Minuten. Dabei enthalten: zwei Songs, die kaum mehr als eine Minute andauern und somit eher als Interludien zu betrachten sind, sowie zwei Remixe. Ein Remix-Gewitter wie seinerzeit auf „Burn The Sky Down“, das eine ganze zweite CD füllte, gibt es dieses Mal nicht. Oder zumindest: noch nicht. Da die vergangenen Singles im Nachgang immer noch mit einem oder mehreren Remixen bedacht wurden, ist es durchaus denkbar, dass hier noch was kommt und „Ghost of the Light“ tanzbarer macht. Müsste ich nicht uuunbedingt haben. Die größte Wirkung erzeugt dieses Album, wenn man sich diesem in aller Ruhe hingeben kann. Musik an, Welt aus – und alles ist gut. Zuletzt in ähnlichem Umfang gelungen ist mir das vor rund elf Jahren.

Für den Fall, dass ich mich nicht deutlich genug geäußert haben sollte: „Ghost of the Light“ macht (mich) glücklich. Jeder einzelne Song dieses Albums, selbst die kurzen Zwischenstücke und die Remixe, sind wie eine Tafel Schokolade für die Seele. Wie eingangs schon erwähnt: Der Zustand der Welt ist prächtig dazu geeignet, den Kopf auf die Tischplatte knallen zu lassen. Emmas zweites Album kommt daher genau im richtigen Moment und ermöglicht für eine kleine Weile eine Flucht aus dieser Realität. Vielleicht zurück in eine Zeit, die längst vergangen, aber mit schönen Erinnerungen behaftet, vielleicht zurück an einen Ort, zu dem man in echten Leben nicht mehr zurückkehren kann. Das Haus der Großeltern in einem der unendlichen Sommer der Kinderzeit oder ähnliches. Vielleicht auch in ein Leben, das man gerne geführt hätte. Was auch immer es ist: Emmas Album fühlt sich an, wie die gute Freundin, mit der man alles teilen kann. Danke, Emma. Ganz viel Liebe für dieses Album! Bleibt abschließend nur zu hoffen, dass es bis zum nächsten Mal nicht wieder zehn Jahre oder länger dauert.

Cover des Albums Ghost of the Light von Emma Hewitt.
Erscheinungsdatum
19. Mai 2023
Band / Künstler*in
Emma Hewitt
Album
Ghost of the Light
Label
Black Hole Recordings
Unsere Wertung
4.8
Fazit
Ich habe keine Ahnung, wie sie das macht, aber es gelingt ihr mit ihren wunderbaren Kompositionen, mit ihren luftigen, leichten und vielseitigen Arrangements, der dynamischen Produktion und der immer und stets mitschwingenden, bittersüßen Melancholie genau das: Erinnerungen und Gefühle zu wecken, die lange vergessen schienen. So mancher tiefenpsychologische Ansatz könnte sich hier eine Scheibe abschneiden.
Pro
Emmas Stimme ist noch immer eine der schönsten in der Musiklandschaft
Toll produzierte Songs, die sich wie eine wärmende Decke um die Schultern legen und in der Lage sind, ein bisschen Ballast von der Seele zu nehmen, zumindest für eine kleine Weile
Kontra
4.8
Wertung
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