Ein Foto von Moby. Er trägt ein schwarzes T-Shirt und hat die Arme vor der Brust verschränkt. Somit sind die Tattoos Animal (rechter Arm) und Rights (linker Arm) gut sichtbar.

Musikvorstellung: Moby – Resound NYC

Foto: Travis Schneider

Nimm zwei; das gilt nicht nur für einen Hersteller von Bonbons, sondern ganz offensichtlich auch für Moby. Vor ziemlich genau zwei Jahren haben wir uns an dieser Stelle über das Album „Reprise“ unterhalten, mit dem Moby einerseits sein Debüt bei Deutsche Grammophon gab, er andererseits Klassikern aus seinem umfangreichen Repertoire einen neuen Anstrich verpasste. Seinerzeit war ich sehr angetan davon, wie frisch und neu und unverbraucht die gewohnten Songs klingen, wenn sie jemand anderes als Moby interpretiert und sie noch dazu in ein orchestrales oder akustisches Kleid gesteckt wurden. Mit „Resound NYC“ legt Moby nach und kramt einmal mehr in der eigenen musikalischen Vergangenheit. Es bleibt die Frage: kann das auch ein zweites Mal funktionieren?

Eine kurze Rückblende: 2021 erschien mit „Reprise“ ein Album, bei dem diverse Hits aus der langen Karriere von Moby neu arrangiert und orchestriert wurden und bei denen sich diverse weitere Gastsänger*innen neben oder anstatt Moby vor das Mikrofon stellten. Wir hörten seinerzeit Gregory Porter, Mindy Jones, Kris Kristofferson oder Mark Lanegan. Moby sagte damals über das Album, er sehne sich „nach der Einfachheit und Verletzlichkeit, die man mit akustischer oder klassischer Musik erreichen kann“. Dementsprechend fragil wirkten die Songs teilweise und stellten damit einen schönen Kontrast dar zu teilweise durchaus wuchtig orchestrierten, schnelleren Nummern. Lange Rede, gar kein Sinn: es war ein wirklich gelungenes Werk, das so ein bisschen auf der Welle der „Electro-Tüftler macht jetzt mal ein Klassik-Album“ mitgeritten war. Heute sagt Moby, dass diese Neuinterpretationen einer Zeitreise gleichkämen. Er erklärt: „Musik kann vieles bewirken, wird auf unterschiedlichste Weise eingesetzt, aber durch sie kann man eben auch in die Vergangenheit eintauchen. Wenn ich ›Night Moves‹ von Bob Seger höre, bin ich sofort zehn und sitze mit meiner Mutter und ihrem Hippie-Freund in einer Pizzeria in Norwalk in Connecticut, während das Lied in einer Jukebox läuft. Das ist durchaus auch Sinn und Zweck meiner Musik: Sie versetzt mich zurück, erinnert mich an die Umgebung und den Zusammenhang, in dem die Stücke entstanden sind, und lässt mich wahrnehmen, wie sich alles verändert hat“.

Und nun also „Resound NYC“, dessen Zutaten exakt die gleichen sind. Reihenweise Gaststars interpretieren neben Moby Songs des Musikers, die auch auf diesem Album akustisch, orchestral oder in einer Mischform daherkommen. In Einzelfällen gar den Spirit jenes Jahrzehnts versprühen, in dem sie erschaffen wurden. Es sind teilweise bekannte Namen dabei, teilweise gibt es sogar ein Wiederhören mit Leuten, die schon für „Reprise“ zur Verfügung standen (so zum Beispiel Gregory Porter). Es sind aber auch Neuentdeckungen dabei, wie P.T. Banks, den Moby in einer Hochzeitsband in Texas entdeckte und kurzerhand zur Kollaboration auf diesem Album einlud.

„Resound NYC“ macht es schon vom Titel her deutlich, dass der Fokus der hier gewählten Songs auf den New Yorker Tracks von Moby liegt. Wir sprechen über den Zeitraum von 1994 bis 2010. Moby erklärt: „Wenn man sich die Neunziger in Erinnerung ruft … Bill Clinton war Präsident, die Rave-Szene war dieses utopische Idyll, die Sowjetunion war Geschichte und der Klimawandel nur der Gedanke für ein Buch, das Al Gore schreiben wollte. Das Potenzial unserer Welt und unserer Kultur zu feiern, das war Musikmachen damals. Heute ist es fast eine Zuflucht in einer erschreckenden, manchmal apokalyptisch anmutenden Welt“.

In dieser Zeit sind ein paar wirklich bemerkenswerte Songs entstanden, die vermutlich Kenner*innen des Musikers sofort in den Sinn kommen, wenn man sie nach Moby befragt („Flower“ zum Beispiel, von mir aus auch „Extreme Ways“ oder „Slipping Away“). Apropos „Extreme Ways“: Die Nummer erfuhr schon auf „Reprise“ eine Frischzellenkur, kam dort aber als sehr schwere, sehr akustische Ballade mit Tränendrüsendrückerpotenzial daher. In der hier vorliegenden Version ist das Tempo wieder deutlich dichter am Original, dafür singt dieses Mal nicht nur Moby, sondern auch Dougy Mandagi. Welche Version nun die gelungenere Neu-Interpretation ist, liegt wohl im Ohr der Hörenden. Meines Erachtens haben beide ihren Reiz.

„Ein Orchester kann alles sein«, sagt Moby. »Es gab hier also nicht das eine orchestrale Treatment für alle Songs, sondern eher ein eigenes Orchester für jeden Song.“

„Bevor ich Punkrock für mich entdeckte, war ich im Classic Rock zu Hause“, wird Moby über die Hintergründe und Motivation zitiert, „mein erstes Konzert war 1978 Yes im Madison Square Garden. Es war also mehr als verlockend, sich noch einmal mit meinen Liedern auseinanderzusetzen und zu gucken, ob sie einer traditionelleren, nicht-elektronischen, orchestralen Bearbeitung standhalten“. Und wie schon 2021 lässt sich guten Gewissens sagen, dass sie genau das tun: einer orchestralen Bearbeitung standhalten. Das war in der Vergangenheit, wenn sich Musikschaffende auf ähnliche Weise ihrer Musik näherten, längst nicht immer der Fall.

Ein paar Beispiele: „Flower (Find My Baby)“, zu Ruhm gelangt wohl nicht zuletzt durch den Nicolas-Cage-Streifen „Nur noch 60 Sekunden“, entfernt sich musikalisch gar nicht so weit vom Original, wird aber von Amythyst Kiah vorgetragen. Es hat was von Südstaaten-Blues. Also mehr als ohnehin schon. „Slipping Away“, da es dereinst auch als Duett mit dem französischen Superstar Mylène Farmer erschien, ist hier von Akustikgitarren und Streichern dominiert und wirkt so noch melancholischer. Entsprechend empfängliche Menschen bekommen hier möglicherweise einen Kloß im Hals. Gleiches gilt, wenn nicht sogar in noch verstärkter Form, für „When It’s Cold I’d Like To Die“ mit dem bereits erwähnten P.T. Banks. Bei dem Lied gehe ich Zwiebeln schneiden, wenn ich nicht möchte, dass man mitbekommt, dass es mir die Tränen in die Augen treibt. Mit Ricky Wilson nahm Moby „The Perfect Life“ auf, das nun sehr nach Gospel klingt. Es fällt nicht schwer, sich irgendeine kleine, aus Holz gebaute Kapelle irgendwo mitten in den ländlichen Regionen der USA vorzustellen, wo diese Nummer zur Sonntagsandacht geträllert wird. Alles in allem gibt sich „Resound NYC“ keine Blöße, was die Abwechslung anbelangt. Das hält den Unterhaltungswert auf konstant hohem Niveau, auch wenn das Album im letzten Viertel ein bisschen sehr wehmütig wird. Aber das mag vielleicht auch nur mein Empfinden sein.

Auch „Resound NYC“ gefällt mir sehr gut. Es ist, ähnlich wie „Reprise“ vor zwei Jahren, ein abwechslungsreiches, durchaus unterhaltsames Album geworden, das genau die Songs neu anstreicht, die mir auf „Reprise“ noch fehlten. Allerdings: die gleiche Begeisterung wie damals will sich nicht so richtig einstellen. Es ist einfach eine weitere Portion dessen, was Moby schon 2021 servierte. Wer das damals gut fand, wird auch mit „Resound NYC“ viel Freude haben. Wem das damals schon auf den Keks ging, wird sich auch jetzt nicht einfangen lassen. Nachdem wir nun zwei Alben dieser Art auf der Haben-Seite verbuchen konnten, würde ich mir als Nächstes aber wieder ein reguläres Moby-Album wünschen. Kein Ambient-Getüdel, keinen alten Wein in neuen Schläuchen. Bis es soweit ist, wird aber „Resound NYC“ und dessen große Schwester „Reprise“ aber sicher noch so manches Mal durch meine Bude schallen.

Cover des Abums Resound NYC von Moby.
Erscheinungsdatum
12. Mai 2023
Band / Künstler*in
Moby
Album
Resound NYC
Label
Deutsche Grammophon
Unsere Wertung
4.5
Fazit
Auch „Resound NYC“ gefällt mir sehr gut. Es ist, ähnlich wie „Reprise“ vor zwei Jahren, ein abwechslungsreiches, durchaus unterhaltsames Album geworden, das genau die Songs neu anstreicht, die mir auf „Reprise“ noch fehlten. Allerdings: die gleiche Begeisterung wie damals will sich nicht so richtig einstellen. Es ist einfach eine weitere Portion dessen, was Moby schon 2021 servierte. Wer das damals gut fand, wird auch mit „Resound NYC“ viel Freude haben. Wem das damals schon auf den Keks ging, wird sich auch jetzt nicht einfangen lassen. Nachdem wir nun zwei Alben dieser Art auf der Haben-Seite verbuchen konnten, würde ich mir als Nächstes aber wieder ein reguläres Moby-Album wünschen.
Pro
Ein weiterer Schwung teils sehr bekannter, teils nicht so bekannter Songs von Moby in neuer Bearbeitung und neuer Interpretation und das wie schon auf "Reprise" auf hohem Niveau
Auch hier: viele tolle Stimmen, viele spannende neue Fassungen
Kontra
Es ist eben "nur" ein weiterer Aufguss eines Konzepts, das eigentlich mit "Reprise" schon hinreichend behandelt gewesen ist
4.5
Wertung
Vorheriger Artikel

Musikvorstellung: Emma Hewitt – Ghost of the Light

Nächster Artikel

Kylie Minogue kündigt neues Album „Tension“ für September 2023 an – Eine Mischung aus persönlicher Reflexion, clubbiger Hingabe und melancholischem Hochgefühl

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Lies als nächstes