Cover des Albums Dependence 2013.

Musikvorstellung: Various Artists – Dependence 2013

Foto: Dependent Records

Jahr um Jahr werden so viele Compilations auf den Markt geschmissen, dass man den Ausstoß der Plattenindustrie manchmal schon mit Begriffen aus der Fäkalsprache umschreiben möchte. Entgegen der scheinbar weit verbreiteten Auffassung ist Masse eben nicht Klasse. Eine Compilation, allenfalls zwei pro Jahr pro Label/Vertrieb/Thema reichen hin. Dependent ist da seit jeher ein gutes Beispiel. Entweder findet man im Rahmen der „Septic“-Reihe die tonangebenden Bands für die Zukunft (jopp, mit Szenegrößen, zu denen man heute noch feiert, oft genug bewiesen), oder man bejubelt den eigenen Künstlerkader. Das kann man durchaus machen. Vor allem dann, wenn dennoch Neues geboten wird. Lange Rede, gar kein Sinn: Dependence 2013 steht vor der Tür und zeigt einmal mehr folgende Dinge. Nämlich: 1. wie man alles richtig macht und 2. wie man selbst viel konsumierenden Elektroköppen neues Futter serviert.

Viele von Euch kennen die DAC, die Deutschen Alternative Charts. Mich persönlich langweilen diese Charts zu Tode. Da wird von DJs und anderen Figuren bestimmt, was die breite Masse in den nächsten Wochen gut finden wird. Dass es aber noch sehr viel mehr jenseits des Tellerrandes zu entdecken gibt, findet da oftmals keine Beachtung. Erzeugt irgendeine Band, womöglich mit einem großen Partner der Musikindustrie in der Hinterhand, genügend Buzz, kannste davon ausgehen, dass diese Bands demnächst den Weg in die DAC und somit in die Clubs finden wird. Immer wieder lässt sich beobachten, dass Bands, die einen Platz in den DAC verdient hätten, dort gar nicht erst erwähnt wurden, weil vielleicht die entsprechende Promotion fehlte. Oder die „üblichen Verdächtigen“ einfach besser gehen als so ein*e Newcomer*in, welche*r die Aufmerksamkeit mehr gebraucht hätte.

Eine Möglichkeit für diese Bands, sich zu Gehör zu verschaffen, ist die Unterbringung auf einer Compilation. Auch hier gibt es viel faules Obst. Genügend Zusammenstellungen werden auf den Markt geworfen, die entweder die sicheren Clubhits beinhalten. Oder eben die Toptitel der DAC. Ein verfluchter Teufelskreis. Musikinteressierte, vor allem die mit einer Schwäche für Elektronisches, müssen dennoch nicht verzagen. In regelmäßigen Abständen wirft das Gelsenkirchener Qualitätslabel Dependent zwei Compilations auf den Markt: „Septic“ und „Dependence“ heißen sie. Und wenn auch die „Dependence“ eine Werkschau darstellt, so gibt es auch hier mitunter Neues und Neulinge zu entdecken. So auch dieses Mal. Mehr dazu nun in der Manöverkritik.

Ghost & Writer – Never Take Fire (Secret Re-Work)

Gleich der erste Song dieser Zusammenstellung wirkt wie Flaschenpost aus einer besseren Vergangenheit. Wie sich inzwischen herumgesprochen haben dürfte, ist das Projekt Ghost & Writer inzwischen Geschichte. Wieso, weshalb und warum die Herren Frank M. Spinath und Jean-Marc Lederman inzwischen keine gemeinsamen musikalischen Wege mehr gehen, ist nach wie vor nicht bekannt. Das ist umso bedauerlicher, wenn man gleich zu Beginn einen DER Songs des Jahres 2013 vor den Latz geballert bekommt. Das übermächtige, ewig nachwirkende „Never Take Fire“ kommt hier als Secret Rework daher, der nicht nur so klingt, als wäre er gänzlich gelöst von allem Irdischen, sondern überdies auch beinahe 8 Minuten Musikgenuss mitbringt. „Never Take Fire“ ist wohl Ghost & Writers Vermächtnis, alleine des Refrains wegen: You keep scratching the faces off coins / You‘ve collected / As part of your dream / Of a picture-book future / Full of picturesque scenes. Hach, es ist ein Jammer, sagte ich das schon?

Covenant – For Our Time (Demo Version)

Bevor Anfang September das fetzige neue Covenant-Album „Leaving Babylon“ in die Läden kommt, servieren die schwedischen Elektro-Helden hiermit den dritten Vorgeschmack. Nach „Last Dance“ und dem schon live erprobten „Prime Movers“ kommt hier der vermutlich chilligste Covenant-Song seit etwa 1812. Die hier vorliegende Demoversion unterscheidet sich nicht soooo dramatisch von der finalen Fassung des Albums, wirkt jedoch auch noch nicht ganz so glatt, so geschliffen und so chillig wie das Endprodukt. Demo halt. Trotzdem cool.

Click Click – What Do You Want?

Hier freuen sich defintiv die EBM-Puristen. Click Click setzen bei diesem Stück auf klassische, bewährte und vor allem erwartete Zutaten: überschaubare Rhythmen, seeeeeehr spärliche Melodiefragmente und gewohnter Singsang. Mit wenigen Mitteln wird hier eine hypnotische Sogwirkung erzeugt, die „What You Want?“ nicht nur auf der Tanzfläche zu einem Treffer werden lässt. Click Click werden hiermit wohl auch so manches Wohnzimmer erobern.

Pride And Fall – Hollow ([:SITD:] Remix)

Nach immerhin gut sechs Jahren Pause melden sich Pride And Fall zeitgleich mit der Veröffentlichung der „Dependence 2013“ mit einem neuen Album namens „Of Lust And Desire“ zurück. Da ist es nur konsequent von Dependent, die Norweger mit auf diesen Silberling zu packen. „Hollow“ ist in der Tat einer der stärksten Songs des neuen Albums, der hier von den Partykönigen [:SITD:] mit dem typischen Wumms und noch dampfenderen Synthies versehen wurde. Eben damit auch zu „Hollow“ auf der Tanzfläche genau das gemacht werden kann: Party.

Encephalon – Desertropolis

Die Kanadier waren immer schon etwas düsterer als manch andere Band, die sich im ähnlich gelagerten Elektro-Sektor bewegt. Mit ihrem Debütalbum „Transhuman Condition“ veröffentlichten sie vor etwa zwei Jahren ein bemerkenswertes Album, das heute noch in so manchem Player rotieren dürfte. Mit „Desertropolis“ gibt es endlich Nachschub. Dass sich ihr Sound nach zwei Jahren aller Elektronik zum Trotz irgendwie organischer anfühlt und ein wenig an die Labelkollegen und Landsleute von Fractured erinnert, ist das Schlechteste nicht.

Velvet Acid Christ – Inhale Blood

Seit mehr als 20 Jahren macht Bryan Erickson mittels Velvet Acid Christ inzwischen Musik, die ganz sicher nicht darauf hin konzipiert wurde, jedem zu gefallen. Erst im letzten Jahr lieferte Erickson mit „Maldire“ ein sensationelles Album düsterelektronischen Gefrickels ab. „Inhale Blood“ ist quasi die Nachspeise dazu. Treibend und düster wie immer, aber dennoch nicht der größte Geniestreich aus dem Hause VAC. Bestandsfans wirds gefallen, Neufangewinnung lässt sich damit womöglich aber nur bedingt betreiben.

Mesh – Perfect Idea Of Beauty

Gar keine Frage und erst recht keine Diskussion: „Automation Baby“, das aktuelle Album aus dem Hause Mesh, gehört zum Besten, was das eh sehr reichhaltige Musikjahr 2013 zu bieten hat. Aber ehrlich Leute, das hier ist mit seinen knapp anderthalb Minuten allenfalls Füllmaterial, das es aus gutem Grund nicht auf das Album geschafft hat? Rein Instrumental, dazu noch monoton und minimal… Nee, das war nix. Passiert selten, dass man bei Dependent-Veröffentlichungen skippen muss. Passiert aber eben doch, wie man hier hört. Hallo Mesh, was war denn da los?

Acretongue – These Soft Machines (Haujobb Remix)

Du liebe Güte, was bin ich damals Ende 2011 sabbernd durch die Gegend gerannt, nachdem ich Acretongues Debütalbum „Strange Cargo“ gehört hatte. Bis dahin hatte ich Südafrika allenfalls und wenn überhaupt musikalisch nur auf dem Schirm, wenn wir uns mal über Gothic Rock unterhalten wollten. Nicht aber, was hochwertige elektronische Musik mit ganz viel Eigenständigkeit und Seele angeht. Auf Dependence 2013 gibt es einen der stärksten Songs des Albums, „These Soft Machines“, im Remix der legendären Formation Haujobb. Diese Variante hebt sich ganz gewaltig vom Original ab, wirkt sehr viel kälter und maschineller. Wie eine Erzählung aus einer Zukunft, in der die Maschinen gewonnen haben. Kann man mal machen.

Front Line Assembly – Ghosts (Greg Reely Alternative Mix)

Meine schreibenden Kolleg*innen sind quer durch die Bank unisono der Meinung gewesen, beim letzten FLA-Album „Echogenetic“ hätte es sich um DAS nächste große Ding in Sachen Düsterelectro gehandelt. Ich sehe das nach wie vor anders, aber darum geht es an dieser Stelle ja nicht. „Ghosts“ war durchaus eine mächtige Nummer von Bill Leeb und seinen Kameraden. Erfreulicher- und dankenswerterweise klingt die vorliegende Version gleich viel weniger nach Dubstep. Stattdessen wird uns hier ein so fettes Brett vor den Latz geballert, dass ich mich frage: warum denn nicht gleich so? Warum, wie aktuell gefühlt 99 Prozent aller Musikschaffenden, auf der inzwischen nervigen Dubstepwelle mitschwimmen? Tut das wirklich Not? Nö. Diese Alternativfassung zeigt, dass es auch noch anders geht.

Decoded Feedback – Blasphemy

Wie ist das bei Euch so? Bekommt Ihr mehr als fragende Gesichter geboten, wenn Ihr das Gespräch mal auf Decoded Feedback bringt? Ja? Dann lebt Ihr in einer Ecke der Welt, wo man die Qualität des kanadischen Duos erkannt hat und zu würdigen weiß. Zwar sieht man Decoded Feedback deutlich öfter auf deutschen Bühnen als so manch andere kanadische Band, einen richtigen Durchbruch konnte ich bisher zumindest in meiner Filterblase aber nicht feststellen. Vielleicht ist das aber auch echt nur in meinem Teil der Welt so. „Blasphemy“ ist eine geschmeidige, tanzbare Nummer geworden, die danach schreit, in den düsteren Tanztempeln dieser Welt bezappelt zu werden. Oh und solltet Ihr zu denen gehören, die Decoded Feedback nicht kennen, lasst Euch gesagt sein: mit kanadischem Düsterelectro macht Ihr garantiert nie etwas falsch.

Seabound – Nothing But Love

SEEEEAAAAAAABOOOOOUUUUUUUNNNNND!!!! Schätze, wo die Sympathien des Autors liegen, dürfte nun klar sein. Seabound-Jünger*innen ist „Nothing But Love“ womöglich gar nicht so neu. Bereits auf dem Amphi Festival 2012 durfte man diesen Song erstmals hören. Damals feierte er seine Live-Premiere. Und wie das so ist auf Festivals: vor lauter Aufregung und Seabound geht da vieles unter. In Erinnerungen verschwimmen Details zudem eh durchaus mal. Frisch und ungewohnt wirkt „Nothing But Love“. Aufgrund der üppigen Synthies im Hintergrund auch fast übermelodiös, wenn man sich vor Ohren hält, dass Seabound-Songs gerne vor allem vom Rhythmus und Franks Stimme leben. Und dann noch dieses Geflirre gegen Ende bzw. dezent im Hintergrund. Noch jemand, der an „Man On A Wire“ von Ghost & Writer denken muss? Toller Song, der das Zeug zum Klassiker hat. Ist damals auf dem Amphi fast etwas untergegangen, kannte bis dato ja aber auch noch keiner. Ich gebe Euch Brief und Siegel: bei der nächsten Darbietung im Rahmen eines Konzerts wird das anders aussehen. Ganz anders. Und jetzt, liebe Herren Seabound, bitte das Album. Die bisher veröffentlichten Appetithäppchen machen dolle Hunger.

Skinny Puppy – Deadlines (Live In Bratislava)

Mächtiger Düsterelektro aus Kanada. Erinnert Ihr Euch? Das hatten wir gerade. Und insgesamt auf dieser Compilation schon diverse Male. Skinny Puppy gehören diesbezüglich zweifelsohne zur Speerspitze. Anstatt hier nun aber einen Song des letzten Albums „Weapon“ in einer neu gemischten Variante zu servieren, gibt es stattdessen eine Live-Aufnahme. Gab es schon mal auf „Bootlegged, Broke and in Solvent Seas“, dem letzten Live-Album, zu hören, eine Zweitverwertung ist aber in diesem Fall durchaus angemessen. So können sich Fans einmal mehr über eine Live-Aufnahme ihrer Helden freuen, bei welcher der charmante Bootleg-Charakter nicht zu leugnen ist. Wer einmal mit einer ollen Handyknipse den Auftritt seiner Idole für die Ewigkeit zu konservieren versuchte, wird wissen, was ich meine. Extra Kudos gehen also an diesen Track für das Wecken nostalgischer Gefühle bei den Hörer*innen, ohne dass diese dafür dabei gewesen sein müssen.

KMFDM – I (Heart) Not)

Es gibt so viele Industrial Rockbands auf diesem Planeten, dabei würde eine überschaubare Handvoll eigentlich ausreichen. Die eine stammt beispielsweise aus Ohio, Cleveland, die andere nennt sich KMFDM und verzückt immer und immer wieder aufs Neue. Quietschiges Electro-Gefrickel trifft stramme Gitarrenriffs. Fertig ist „I (Heart) Not“. Na okee, Käpt’n K. darf zwischendurch auch noch mal ans Mikro. Schon irgendwie fetzig, aber nicht die stärkste Nummer aus KMFDMs jüngster Vergangenheit. Da gibt es durchaus andere Kandidaten, prima Futter für die Tanzflächen dieser Welt ist es aber in jedem Fall.

Chrysalide – 2010 (Sonic Area Mix)

So, Du isst Fisherman’s Friend zum Frühstück wie andere Leute ihre Cornflakes und meinst, Industrial ist erst dann wirklich cool, wenn die Ohren klingeln? Hastes schon mal mit Chrysalide probiert? Deren Debütalbum „Don’t be scared, it’s about life“ ist mit Abstand eines der mächtigsten Digital Hardcore / Electro Industrial Alben seit Erfindung des Kirschkernentsafters für zu früh geborene Sparschweine. Selten gab es in diesem Bereich etwas so Fettes und so Gutes zu hören wie das, was die Franzosen ablieferten. Wer sich einen ersten, durchaus noch sozialverträglichen Eindruck verschaffen will, hört sich vorsichtig schon mal warm mit dem vorliegenden Sonic Area Mix. Zwar ist das nur die halbe Wahrheit, zum Einstieg aber durchaus okee.

Clicks – Clicks On Speed

Knarzig-quietschiges Electro-Gemache, gänzlich nahezu ohne Text oder Gesang, dafür aber tanzbar? Bitte. Der reinste Straftanz in einem analogen, mitunter althergebrachten Synthiegewitter. Kannste mögen, musste aber nicht.

Veil Veil Vanish – Exile City

Hach… Veil Veil Vanish betrachte ich mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Lachend, weil es eine Indie-Perle mit schwerem Wave-/The Cure-/Shoegaze-Einschlag geschafft hat, von einem Label wie Dependent verlegt zu werden und damit so gar nicht ins restliche Programm zu passen scheint. Lachend außerdem, weil sie schlicht und ergreifend mit Qualität gepunktet haben. Weinend, weil sie sich damit nicht durchsetzen konnten. Oder kennt Ihr noch Veil Veil Vanish und deren 2010er-Debütalbum “Change In The Neon Light”? Schön, dass Dependent zum Abschluss dieser Compilation das Augenmerk noch einmal auf eine Band richtet, die viel mehr Rampenlicht verdient hätte. Hört es Euch an und Ihr wisst, was ich meine. Auch Robert Smith hat mal klein angefangen.

„Dependence 2013“ ist die inzwischen 6. Werkschau, bei der Dependent nicht unterwegs ist, neue Welten zu entdecken und mutig dahinzugehen, wo noch kein Mensch zu vor gewesen ist, sondern sich und seine Künstler*innen selbst feiert. Und dabei aber dennoch einige Perlen zutage fördert, die ehrliche Musikfreund*innen in dieser Form womöglich noch nicht serviert bekommen haben. Komplettes #Neuland jenseits des Dependent-eigenen Kataloges gibt es bekanntlich stets im Rahmen der „Septic“-Compilations zu entdecken. Abschließend: Solltet Ihr in diesem Jahr lediglich eine einzige Compilation kaufen, gehört diese ganz oben auf den Einkaufszettel. Warum? Weil sie einfach besser ist.

Cover des Albums Dependence 2013.
Erscheinungsdatum
13. August 2013
Band / Künstler*in
Verschiedene
Album
Dependence 2013
Label
Dependent Records
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