Kyla La Grange. Sie hat die Haare zusammengesteckt und trägt ein transparentes Oberteil.

Musikvorstellung: Kyla La Grange – Cut Your Teeth

Foto: Stephanie Sian Smith

Aaliyah sang mal: If at first you don’t succeed / Dust yourself off, and try again. Ein schönes Motto, wie ich finde. Die Flinte ins Korn zu werfen, wenn Dinge nicht gleich beim ersten Versuch funktionieren, ist auch zu einfach. Ok, im Musikgeschäft mag es etwas anderes sein, wenn man bei einem großen Player unter Vertrag ist und sich beim ersten Versuch nicht der gewünschte/erwartete finanzielle Erfolg einstellt. Schön zu wissen, dass auch die Großen in der Industrie an jungen Künstler*innen festhalten und entsprechende Aufbauarbeit leisten. In diesem Zusammenhang möchte ich mich heute mit Euch über Kyla La Grange unterhalten, die sich wohl auch den Staub abgeklopft hat und mit ihrem aktuellen Album „Cut Your Teeth“ jetzt den Durchbruch schaffen will.

Auch wenn Ihr vielleicht bisher noch nichts von der Londoner Sirene gehört haben mögt – „Cut Your Teeth“ ist tatsächlich schon das zweite Album. Dazu gleich mehr. Wie gewohnt ein kurzer biografischer Abriss. Kyla La Granges Vater stammt aus Zimbabwe, ihre Ma aus Südafrika. Kyla selbst wurde in Watford geboren, einem Londoner Vorort. Sie studierte an der Uni Camebridge Philosophie und machte dort 2007 ihren Abschluss. Und während sie über Gott, die Welt und das Leben als solches philosophierte, begann sie parallel dazu, an ihrer Musikkarriere zu arbeiten. Ganz klassisch: Open-Mic-Abende, Teilnahme an diversen Bands. Aber nischt, woraus sich ernsthaft etwas entwickelt hätte. Und dennoch: wer sich stets fleißig abmüht, erhöht die Chance, Aufmerksamkeit zu erregen. So geschehen bei Kyla, die 2011 vom Chess-Club-Label entdeckt und unter Vertrag genommen wurde.

Noch im selben Jahr erschien ihre Debütsingle „Been Better“. Es folgte „Catalyst“, ein Song, welcher in der US-Fernsehserie „Beauty and the Beast“ verwendet wurde. Und was passiert, wenn man einen Song via Mattscheibe verwurstet? Richtig, die Leute werden auf dich aufmerksam. So auch Sony, bei denen sie 2012 unterschrieb und im Sommer ihr erstes Album „Ashes“ veröffentlichte. Wer denkt, es sei dadurch zum großen Durchbruch gekommen, irrt. Zwar lief es bis dahin recht gut für Kyla, das Album stotterte sich aber mehr in die Sammlung interessierter Konsumenten, anstatt in großen Mengen aus den Tonträgergeschäften getragen worden zu sein. Zwar erklärte die deutsche Ausgabe des Rolling Stone Magazines Kyla La Grange zu einer Künstlerin, die man im Auge behalten sollte, ein Feuer wurde aus der lodernden Glut dennoch nicht.

Den größten Erfolg feierte sie in der Schweiz, wo es ihr Album bis in die Top 20 schaffte. Die positiven Kritiken, die sie für das Album einfuhr – es nützte alles nichts. Dass wir jetzt hier sitzen und uns über Kyla La Grange unterhalten können, zeigt vor allem eines. Nämlich dass an ihr irgendwas dran sein muss, dass Sony an dieser Dame festhalten und ihr ein zweites Album ermöglichen lässt.

Nach der Veröffentlichung ihres sehr folkigen Debüts verschwand Kyla für eine Weile in Südafrika. Weitab von allem, geborgen im Kreise der Familie, fing sie an, neue Musik zu schreiben. Ein Fund ihrer Mutter war es, das unverhofft eine neue musikalische Ausrichtung mitbrachte: „Meine Mutter entdeckte ein altes Keyboard, das ich hatte als ich 12 war, mit all diesen idiotischen, aber wirklich guten Sounds — Xylophon, Kalimba und Samples aus den 80ern. Es war wirklich ein Spaß. Es erinnerte mich an die Zeit, als ich jünger war und ich zwang meine Freunde, in meinen Keller zu kommen und in einer Ecke Songs mit mir zu schreiben“, erklärt sie. „Es brachte eine Menge von Songs dieser Zeit wieder hervor, und all die Geschichten, die andere Kinder mir erzählten, als ich aufwuchs, und all die Leute, die ich damals getroffen habe.“

Der Grundstein war gelegt. Das Fundament, auf dem sie während der Produktion aufbaute, entstand durch die Zusammenarbeit mit dem Elektro-Produzenten James „Jakwob“ Jacob. Jakwob war vorher vor allem als Remixer für Ellie Goulding, Lily Allen oder Lana Del Rey in Erscheinung getreten. Kyla besang einen seiner Songs, daraus folgte die Zusammenarbeit für ihr neues Album.

Dieses Folkgemache ihres Debütalbums war ganz schnell Schee von gestern. Die Kyla La Grange, die sich den Staub aus den Kleidern geklopft hatte, nennt ihre neue Ausrichtung spartanische Pop-Musik, das akustische und elektronische Elemente vereint. Und spartanisch, das dürft Ihr gerne glauben, ist das Wort der Stunde in Bezug auf „Cut Your Teeth“! Keine überkandidelte Produktion, sondern oftmals sehr sparsam ausgearbeitet und mit Klangelementen versehen, die immer wieder in den Songs auftauchen. Wie eine Art roter Faden. Manchmal sind die Songs dabei in bisschen zu sehr wie Zuckerwatte geraten: süß und klebrig, aber eben auch nicht richtig zu fassen. Könnte schlimmer sein, ehrlich gesagt.

Wie rote Fäden sind auch die Themen, die Kyla auf „Cut Your Teeth“ anschneidet. Sie resümiert hier Dinge, die im Kindesalter passieren können und die, längst im Erwachsenenalter angekommen, noch nachwirken können. Die Zurechtweisung eines Kindes ist beispielsweise das Thema des Titelsongs. „Fly“ thematisiert Mobbing unter Jugendlichen. „I’ll Call For You“ ist eine Abhandlung darüber, jung zu sein und dennoch Angst vor dem Sterben zu haben. Und ist damit nicht Kylas einziger Ausflug in morbide Themen. „Maia“ dreht sich generell um die Angst vor dem Tod und dem Ende der Welt. Jo.

Auch zwischenmenschliches wird von Kyla in Songs verarbeitet. Ihr kennt alle diese Menschen, die sich irgendwann nur noch über ihre Beziehung definieren, nichts anderes mehr haben oder sehen und damit dem Rest ihres sozialen Umfelds so richtig auf den Keks gehen. Und die dann in ein Loch ohne Boden stürzen, wenn diese Beziehung plötzlich nicht mehr ist. Das ist das Thema von „The Knife“. „Never That Young“ ist ein weiterer, skeptischer Blick auf eine weit verbreitete Zweierkiste: der Ehe nämlich. Und überhaupt scheint Kyla diesbezüglich ziemlich skeptisch zu sein. „Cannibals“ schlägt eine ähnliche Richtung ein, dreht sich aber um diese Sorte Pärchen, wo man schon bald fürchten muss, sie fressen sich demnächst selbst.

„Persönlich bin ich glücklich, aber ich werde immer über dunklere Themen schreiben, weil es ziemlich langweilig ist, über schöne Dinge zu schreiben.“

Zu den Inhalten sagt sie, „dass sie Dinge betrachtet, die damals schrecklich waren, die schlimmen Dinge, die Menschen sich gegenseitig antun. Es sind einige weniger fröhliche Songs auf dem Album, aber sie sind größtenteils aus beobachtender Perspektive geschrieben. Die emotionale Intensität des ersten Albums, das ich so stark gefühlt habe, ist nicht da. Das war die Verzweiflung eines Teenagers. Dieses Mal denke ich eher, ,Oh mein Gott, mir geht es tatsächlich gut.’. Ich bin in meinen Zwanzigern, zufrieden und ich denke mir, ‚Puh, ich bin froh, dass das alles nicht jetzt passiert’. Das letzte Jahr über habe ich mich gesetzter und glücklicher gefühlt als je zuvor. In allen Interviews zu meinem ersten Album hieß es ,Warum schreibst du so traurige Songs?‘ – ,Weil ich traurig bin, was denkst du denn?‘ Bei „Ashes“ habe ich mir viel von der Seele geschrieben, und das unter Tränen. Ich steckte so drin in der ganzen Sache. Dieses Mal war alles so viel kreativer und schöner. Der ganze Prozess war befreiter. […] Persönlich bin ich glücklich, aber ich werde immer über dunklere Themen schreiben, weil es ziemlich langweilig ist, über schöne Dinge zu schreiben“.

Das kann man so machen. Ich persönlich bin ja großer Verfechter der Theorie, dass große Kunst vor allem dann entsteht, wenn es den Schaffenden seelisch nicht ganz so gut geht. Da Kyla für ihre Songs dieses Mal aber die beobachtende Perspektive gewählt hat, ist das schon ok. Die Gedanken an Aaliyah kamen nicht von ungefähr. Immer wieder überrascht Kyla auf diesem Album mit Beats und Rhythmen, die unter anderen Umständen wohl eher im R&B Bereich zu Hause wären. Und doch sind sie teilweise so zart, so zurückhaltend, so minimalistisch, so zerbrechlich, dass ich unweigerlich an Schneeflocken denken muss, die in der Nacht vor dem Fenster tanzen und vergehen, sobald die Sonne den Horizont überwunden hat. Ihre von allem Irdischen gelöst wirkende Stimme trägt ein übriges dazu bei. Kein Vergleich zu „Ashes“, aber aus meiner Sicht ist dieser Richtungswechsel eine deutliche Verbesserung. Ich hoffe, dass Kyla hierfür mehr Erfolg und Aufmerksamkeit bekommt. „Cut Your Teeth“ ist ein Album, in dem man sich verlieren kann. Und doch nicht für jedermann. Ähnlich wie Bitterschokolade, die erst süß auf der Zunge zergeht und dann einen leicht bitteren Nachgeschmack hinterlässt. Gehört bei düsteren Themen wohl aber irgendwie dazu.

Das eine muss ich Euch fairerweise sagen: in unseren Reihen spaltet „Cut Your Teeth“ die Meinungen. Mick beispielsweise kann mit dem, was Kyla La Grange hier musikalisch verkauft, gar nichts anfangen. Ich hingegen finde das Album sehr gelungen. Sicherlich: stimmlich gibt es weitaus bessere und eindrucksvollere Sängerinnen. Ihre Stimme passt aber gut zu den teils düsteren Texten und vor allem zur minimalistischen, gleichwohl verspielten Ausgestaltung des Albums. Mir gefällt es ziemlich gut, wie mit wenigen Mitteln viel erreicht wird. Vor allem begeistert hat mich die Tatsache, dass sich immer wieder die gleichen Elemente wie eine Art roter Faden durch die Songs ziehen. Außerdem fand ich es ziemlich spannend zu hören, wie Sounds, Beats und Rhythmen, die man sonst eher im Bereich Black Music verorten würde, in ein Indie-Pop-Korsett gesteckt wurden und so für frischen Wind sorgen. Dennoch ist Kyla la Granges „Cut Your Teeth“ ein spezialgelagerter Sonderfall, bei dem es scheinbar nur zwei Optionen gibt: Das mag man oder eben nicht. Potente Anlagen oder Kopfhörer sollten es allerdings schon sein, mittels welcher man sich das Album in die Gehörgänge schiebt. Laptop-Boxen und 29 Euro Brüllwürfel aus dem Elektrodiscounter sind mit der unvermuteten Vielschichtigkeit gnadenlos überfordert. Entsprechend dem Albumtitel bleibt nur noch zu sagen: Macht Eure Erfahrungen damit.

Cover des Albums Cut Your Teeth von Kyla La Grange.
Erscheinungsdatum
2. Juni 2014
Band / Künstler*in
Kyla La Grange
Album
Cut Your Teeth
Label
Sony Music
Unsere Wertung
4
Fazit
Sicherlich: stimmlich gibt es weitaus bessere und eindrucksvollere Sängerinnen. Ihre Stimme passt aber gut zu den teils düsteren Texten und vor allem zur minimalistischen, gleichwohl verspielten Ausgestaltung des Albums. Mir gefällt es ziemlich gut, wie mit wenigen Mitteln viel erreicht wird. Vor allem begeistert hat mich die Tatsache, dass sich immer wieder die gleichen Elemente wie eine Art roter Faden durch die Songs ziehen. Außerdem fand ich es ziemlich spannend zu hören, wie Sounds, Beats und Rhythmen, die man sonst eher im Bereich Black Music verorten würde, in ein Indie-Pop-Korsett gesteckt wurden und so für frischen Wind sorgen.
Pro
Angenehm zurückhaltende und entspannte Produktion, die ihre Wurzeln in R'n'B und ähnlicher Black Music hat
Überraschend düstere Themen, die einen interessanten Kontrast zu den Melodien bilden
Kontra
4
Wertung
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