Vielleicht behalten die ganzen Weltuntergangsprophet*innen ja doch Recht und zum Jahresende reißt unser beschaulicher Planet die Hufe hoch. Dann, immerhin, können wir behaupten, dass das letzte Jahr auf Erden noch ein paar verdammt gute und hochwertige Synthpop-Alben gesehen (oder besser: gehört) hat, die dem angestaubten Genre einen neuen Frühling bescherten. Ganz besonders ist dies schwedischen Musiker*innen zu verdanken, die es sich wohl zum Ziel gesetzt haben, sich qualitativ zu übertrumpfen. Und gerade als wir dachten, besser könne es gar nicht mehr werden, da treten völlig unvermittelt Daybehavior auf den Plan und servieren mit „Follow That Car!“ das beste Synthpop-Album des Jahres!
Es passiert sehr oft, dass wir Promomaterial zugeschickt bekommen, mit der Bitte, das gelieferte Material zu hören und idealerweise darüber zu schreiben. Eine Bitte, der wir immer gern nachkommen, sofern es unsere spärliche Zeit, die uns für unser Tun hier zur Verfügung steht, erlaubt. Manchmal aber passiert es, dass zwischen den vielen Promos Juwelen hervorschimmern, die nach umgehender Bearbeitung förmlich schreien. So geschehen beim vorliegenden, dritten Album „Follow That Car!“ der schwedischen Synthpop-Band Daybehavior. Der Name sagt Euch nichts? Das macht gar nichts. Uns bis gestern auch nicht.
Dabei sind Daybehavior ganz gewiss keine Neulinge im Musikgeschäft. Die Wurzeln von Daybehavior reichen zurück bis in die 80er Jahre, jenem Jahrzehnt, in welchem dieses Genre das erste Mal so richtig aufblühte. Im Jahr 1988 trafen sich die beiden Bandgründer Carl und Tommy auf einer Party und stellten dabei ziemlich schnell fest, dass sie die gleichen musikalischen Interessen teilten und beschlossen, fortan gemeinsam zu musizieren. Allerdings sollten von der ersten Idee bis zur ersten wirklichen gemeinsamen Arbeitshandlung noch einige schwedische Winter vergehen. Erst 1993, inzwischen hatten sie ihr eigenes Label Graplur Studios aus der Taufe gehoben, machten sie sich auf die Suche nach einer Gesangsperson. Mehr als 40 Leute durften vorsingen, bis mit der halb italienischen, halb schwedischen Sängerin Paulinda die Idealkandidatin gefunden wurde.
Seit 1993 im Geschäft, das Debüt erschien bereits 1996
Es dauerte weitere drei Jahre, bis 1996 das Debütalbum „Adored“ erschien – und mit positiven Reviews und jeder Menge Airplay nur so überschüttet wurde. Veröffentlicht wurde das Album seinerzeit via North Of No South, die 1997 vom Pleitegeier überschattet wurden. Unmittelbar vor der geplanten Veröffentlichung des zweiten Albums. Vielleicht war dies der Auslöser für den Bruch, den die Bandbiografie verzeichnet. Ungefähr zu der Zeit ist Tommy nach Thailand ausgewandert, da er von den klimatischen Verhältnissen in Schweden schlicht und ergreifend die Nase voll hatte. Die verbliebenen zwei Bandmitglieder, Paulinda und Carl, veröffentlichten das Album sehr viel später dann doch noch. 2003 erblickte „Have You Ever Touched A Dream?“ via A Different Drum dann doch noch das Licht der Welt. Und doch: es waren keine guten Zeiten für die Band. Auch Paulinda und Carl trennten sich und gingen eigenen Projekten nach. Tommy hingegen bastelte in Thailand weiter an neuen Songs und konnte den Gedanken einer Wiedervereinigung nie ganz ad acta legen. Es wird überliefert, dass auch Paulinda ein brennendes Interesse daran hatte. Zusammen gelang es ihnen, auch Carl zu überzeugen, es noch einmal gemeinsam zu versuchen. Es dauerte noch eine ganze Weile, aber nun, wo das Ende des Jahres 2012 sich nähert, sind Daybehavior bereit, die Synthpop-Welt (noch einmal) zu erobern. Bewegte Geschichte, wenn Ihr uns fragt. Die Chancen standen sicherlich nicht schlecht, dass von diesem Trio nie wieder etwas zu hören sein würde. So viel sei schon einmal gesagt: Es ist ein echter Glücksfall für uns Konsument*innen, dass dem nicht so ist!
Mangels Debütalbum können wir hier nur Vergleiche zum Vorgänger ziehen. Bei „Have You Ever Touched A Dream?“ hört man teilweise schon sehr den Zeitgeist der 90er Jahre heraus. Will sagen: mitunter ziemlich Eurodance-lastig, das Ganze. Nicht schlecht, gar keine Frage, aber nichts, das wir notwendigerweise mit dem Begriff zeitlos umschreiben würden. Eine ganz andere Welt eröffnet sich jedoch beim aktuellen Album. Im Vergleich zum Vorgänger fällt „Follow That Car!“ musikalisch viel minimalistischer aus und atmet viel mehr den Geist der synthetischen Musik der 80er Jahre. „Follow That Car!“ ist ein feinfühliger, leichtfüßiger Trip durch mondlichtbeschienene, von Neonleuchtreklamenen beleuchtete Großstadtstraßen. Die Melodien der Songs – übrigens durchgängig Volltreffer, Füllmaterial gibt es hier nicht – werden in erster Linie von der bezaubernden, weichen Stimme Paulindas getragen. Der Musikjournalist Pee Wee Vignold (Sonic Seducer) sagte in einer seiner Kolumnen einmal sinngemäß, dass ein Album die Hörer*innen auch im weiteren Verlauf nicht mehr fesseln kann, wenn die ersten drei Songs nicht zünden. Und wer ehrlich ist zu sich selbst, wird festhalten müssen, dass sich diese Aussage immer und immer wieder bewahrheitet. Umso erfreulicher ist es da doch, dass Daybehavior ihre Hörer*innen ab den ersten Tönen des Eröffnungsstücks „Come To Bed With Me“ sofort fest im Griff haben. Alleine die anrüchig gehauchten Zeilen „your hair is getting wet / let’s go inside, I’ll take your clothes off / there’s an air of no regrets / whatever happens in Vegas stays in Vegas“ sorgen für erste Begeisterungsausbrüche. Den Rest erledigt dann der unglaublich eingängige Refrain. Zu glauben, dies sei eine Einzelleistung, ist schlicht falsch. 12 Songs beinhaltet „Follow That Car!“ und jeder einzelne davon ist ein absoluter Volltreffer. Sicherlich, das Jahr 2012 hat viele sehr hochwertige Synthpop-Alben erlebt, aber keines davon (auch nicht das der von uns so geschätzten Ostrich) erreicht diese Meisterklasse. Zumal: Mit „The Blue Film“ haben Daybehavior einen Song geschaffen, der hoffentlich alle Zeiten überdauert!
Aufgrund seiner ruhigen, träumerischen Atmosphäre und der warmen, zauberhaften Stimme Paulindas ist „Follow That Car!“ der ideale Begleiter für die Nacht. Der Song „City Lights“ trägt daran sicher eine Mitschuld. Es spielt keine Rolle, ob ihr gerade bei einem Glas Wein auf dem Sofa herumlungert und den Vollmond anstarrt, einsam durch vorher erwähnte Großstadtstraßen wandert, mit Eurem liebsten Menschen tanzt oder kuschelt oder einsame Landstraßen entlang fahrt. Es ist wie eine zweite Haut, die sich einfühlsam um Euch legt und Euch das Gefühl vermittelt: Alles ist gut. Dass wir von diesem Album in höchstem Maße angetan sind, sollte inzwischen wohl klar geworden sein. Daher kürze ich die Sache nun ab. Bei „Follow That Car!“ stimmt einfach alles: die musikalische Ausgestaltung, die stimmliche Leistung, die Texte – ja sogar das Booklet im Art déco Design gefällt. Und wenn wir die Danksagungen richtig verstanden haben, dann ist es wohl abermals conzoom Records zu verdanken, dass wir diese Perle auch offiziell in unserem Lande bekommen können. Kurz und knapp: Daybehaviors „Follow That Car!“ sollte ganz, ganz weit oben auf Eurem Einkaufszettel stehen!
Übers Jahr verteilt pflege ich eine kleine Notizliste, auf der ich mir notiere, welche Alben für die engere Auswahl der Top 10 Alben des Jahres in Betracht kommen. Und eigentlich, so dachte ich, kann da gute drei Monate vor Abpfiff nicht mehr so viel kommen. Falsch gedacht! Völlig unverhofft tauchen da Daybehavior auf und katapultieren sich ganz bequem an Platz 1 dieser Liste. Wenn nicht noch ein Wunder passiert, dann wird „Follow That Car!“ in diesem Jahr bei mir auf dem obersten Treppchen stehen. Dieses Album, liebe Lesende, ist eine definitive Pflichtanschaffung für alle, die sich auch nur im Entferntesten für Synthpop begeistern können. Für mich persönlich ein sensationelles, nahezu hypnotisches Meisterwerk, das noch sehr lange Dauerrotation haben wird!
