Die Band Half Light.

Musikvorstellung: Half Light – Black Velvet Dress

Foto: MJM Music PL

Der Monat Dezember. Ein Monat voller Missverständnisse und Irrtümer. Vor allem, auch und ganz besonders im Musikbereich. Zum Jahresende kann eigentlich davon ausgegangen werden, dass alle großen Knaller bereits veröffentlicht sind und somit Überraschungen ausbleiben. Überdies kann davon ausgegangen werden, dass wenn sich ein Land so überzeugend die Krone im Synthpop-Bereich gesichert hat wie Schweden in 2012, dass da niemand mehr kommt, um noch ernsthaft am Thron wackeln zu wollen. Aber das Wort „eigentlich“ schließt ja bekanntlich immer irgendetwas aus. So ganz plötzlich tauchte aus unserem Nachbarland Polen die Synthpop-Band Half Light an unserem Horizont auf, deren drittes Studioalbum „Black Velvet Dress“ über das Jahr gepflegte Vorstellungen zum Wanken bringt. Müssen als Top-Kandidaten für die Jahresendauswertung gehandelte Bands wie Ostrich, Daybehavior und so weiter etwa um ihre Platzierung fürchten?

Es würde uns nicht überraschen, wenn Euch Half Light nichts sagt. Zwar haben es die vorhergehenden beiden Alben der in Toruń, Polen, ansässigen Band auf diesem oder jenem Wege auch bis zu uns geschafft, wirklich große Aufmerksamkeit blieb den drei Herren Cristobal (Gesang), Piter (Musik, Programmierung) und Kris (Gitarre) bisher verweigert. Nach intensiven Hördurchgängen von „Black Velvet Dress“ können wir nur hoffen, dass sich das mit diesem Album ändert! Um das vorweg schon einmal in aller Deutlichkeit zu sagen: ein technisch saubereres, vielschichtigeres und abwechslungsreiches Album wird man im weiten Felde des Electro-/Synthpop nur noch schwerlich finden.

Gleich zum Auftakt des Albums machen Half Light klar, dass sie keine Böcke haben, schlicht ausgetretene Pfade zu beschreiten. Gleich im ersten Stück „Paranoia“ präsentieren sie einen wilden Mix aus Electro- und FuturePop, angereichert mit diversem 80er Charme (habt Ihr das Saxofon gehört?), einer an Filmmusik erinnernden Atmosphäre und einer ungemütlichen, dystopischen Stimmung. Geschickt spielen sie somit mit der Erwartungshaltung der Hörer*innen, die bei Begriffen wie Synthpop ganz sicher etwas anderes erwarten als diesen düsteren Song, der von Geschrei, verzerrten Polizeisirenen und treibenden Beats veredelt wird. Mutige Entscheidung, die Hörer*innen gleich zum Auftakt auf eine musikalische Reise zu schicken, die an düstere Science-Fiction-Filme denken lässt.

Musik, wie aus einem düsteren Sci-Fi-Film

So vielschichtig wie das Album beginnt, so vielschichtig setzen sich die knapp 50 Minuten Spielzeit fort. Gleich das nachfolgende Stück „Cold Friends“ erinnert mit seinem Gitarrenspiel ein wenig an die gute, alte Zeit, als Pink Floyd noch aktiv waren. Überhaupt steckt die Mucke von Half Light voller dezenter Verneigungen großer Bands. Neben Pink Floyd werden beispielsweise auch Erinnerungen an Marillion wach. Beim Beginn von „Confused“ erwartet man beinahe, gleich Fish trällern zu hören. Und könnte „Bitter Paris“ mit seinem Gitarrenspiel nicht eigentlich auch ganz wunderbar auf einer U2-Platte passieren? Aller Elektronik zum Trotz? Und dazwischen stets die überraschend kräftige Gesangsstimme Cristobals. Als Einflüsse geben Half Light Künstler wie Depeche Mode, David Bowie oder Porcupine Tree an. Ein bissel was von denen ist hier ebenfalls zu finden. Und das, ohne dass sich das Gefühl einstellt, es hier mit Trittbrettfahrern zu tun zu haben. Über weite Strecken ist „Black Velvet Dress“ zwar verspielt, experimentell und vielschichtig, dennoch aber immer gut hörbar. Half Light schrecken aber auch nicht davor zurück, wirklich unbequeme Songs wie „Heart Of My City Died“ auf dieHörer*innen loszulassen. Aufgrund seiner aggressiven Gitarre, der schnellen Rhythmen und der pulsbeschleunigenden Elektronik nimmt sich dieses Lied beinahe schon wie nerviger Krach aus.

Abschließend: dass andere Synthpop-Bands doch noch knapp die Nase vorne haben, liegt einzig daran, dass diese es besser verstanden haben, eingängigere Melodien zu schaffen und sich somit mehr der breiten Masse „anzubiedern“. Dass Half Light den unbequemeren, steinigeren Weg eher experimenteller Musik gehen, ist bitte keinesfalls negativ zu betrachten! Abwechslungsreicher kann sich ein musikalischer Trip unmöglich ausgestalten lassen. Wer sich in dystopischen Zukunftsvisionen wie „Blade Runner“, „Equilibrium“ und ähnlichen wohlfühlt, wird sich durch das musikalische Tun von Half Light ebenfalls schnell in seinem persönlichen Kopfkino heimisch fühlen. Und wer es lieber experimentell als eingängig mag, addiert hier einfach noch ein paar Punkte obendrauf.

Ganz ehrlich, Leute – Polen hätte ich auf meiner persönlichen Landkarte für gefälligen Electro-/Synthpop irgendwie nicht verortet. Bisher hätte ich derlei Musik, noch dazu auf diesem Qualitätslevel, eher in Schweden oder in England vermutet. Das polnische Trio Half Light zeigt mit seinem dritten Album, dass hier ein Umdenken stattfinden muss. Zwingend. „Black Velvet Dress“ ist sicherlich nicht das leichtfüßigste und eingängigste Album seiner Art, ganz sicher aber eines der spannendsten! Es haut mich immer noch aus den Latschen, mit welcher Liebe zum Detail die Herren hier vorgegangen sind. Es gibt hier so viel zu entdecken bzw. erhören, dass es eine wahre Freude ist. Und daher gibt es von mir eine klare Empfehlung!

Erscheinungsdatum
22. Oktober 2012
Band / Künstler*in
Half Light
Unsere Wertung
4.2
Fazit
Ganz ehrlich, Leute – Polen hätte ich auf meiner persönlichen Landkarte für gefälligen Electro-/Synthpop irgendwie nicht verortet. Bisher hätte ich derlei Musik, noch dazu auf diesem Qualitätslevel, eher in Schweden oder in England vermutet. Das polnische Trio Half Light zeigt mit seinem dritten Album, dass hier ein Umdenken stattfinden muss. Zwingend. „Black Velvet Dress“ ist sicherlich nicht das leichtfüßigste und eingängigste Album seiner Art, ganz sicher aber eines der spannendsten! Es haut mich immer noch aus den Latschen, mit welcher Liebe zum Detail die Herren hier vorgegangen sind.
Pro
Sehr abwechslungsreich, düster und vielschichtig mit jeder Menge Mut zu Experimenten
Eine eindringliche Empfehlung, Polen als Land für geschmeidige Electro-/Synthpop-Mucke mit auf den Schirm zu nehmen
Kontra
4.2
Wertung
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