10 verschiedene Cover von 10 verschiedenen Alben, die in diesem Artikel erwähnt werden.

10 sehr gute Alben, die du 2021 möglicherweise verpasst hast

Foto: Avalost

Weiter geht es mit einem musikalischen Blick zurück auf das nun bald endende Jahr. Auch in 2021 ist erfreulicherweise so viel mehr Musik erschienen, als wir hier jemals hätten vorstellen können. Anstatt aber nur die zehn Alben herauszupicken, die ganz besonders Eindruck hinterlassen haben (und die hier im Verlaufe der letzten Monate im Rahmen einer Review vorgestellt wurden) möchte ich Euch nachfolgend zehn Alben ans Herz legen, die wir hier gerne vorgestellt hätten, die aber aus zeitlichen Gründen fast alle durchgerutscht sind, um ihnen so doch noch eine Bühne zu verschaffen. Das Jahr 2021 war musikalisch wirklich sehr, sehr ergiebig. Hier sind 10 Beispiele für tolle Musik, mit der man sich auch lange nach dem Jahreswechsel noch beschäftigen kann.

Inhaltsverzeichnis

Janus – Terror

Das Cover des Albums Terror von Janus.
Foto: Janus

Janus haben musikalisch noch nie leichte Kost gemacht, aber mit ihrem halbstündigen Epos, das sich der tragisch gescheiterten Franklin-Expedition widmet, hat das Duo sich selbst übertroffen. Ein unheimliches Schauermärchen ist dieses „Terror“ geworden, benannt nach einem der beiden unglückseligen Schiffe, die sich 1845 aufmachten, die Nord-West-Passage zu durchqueren. Bekanntlich hat dieses Unterfangen niemand überlegt, durch gefundene Überreste wird aber immer wieder die Fantasie von Buchautor*innen oder eben Musiker*innen beflügelt. Janus machten daraus ein epochales, brachiales Metal-Gewitter, das sich dem Punkt dieser Expedition widmet, an dem die Seemänner scheinbar so langsam dem Wahnsinn anheimgefallen sind. Und da man im Hause Janus klotzt und nicht kleckert, wartet dieses halbstündige Lied mit einhundert mitwirkenden Musiker*innen, darunter welche des MDR Rundfunkorchesters, der brandenburgische Staatskapelle unter der Leitung von Bernd Ruf, Helen Jahn an der singenden Säge sowie die Schauspielerin Antje von der Ahe in der Rolle der Jane Franklin auf. So wahnsinnig wie das zugrundeliegende Thema ist auch das Album – in Umfang und Ausgestaltung, in dem Aufwand der hinsichtlich der begleitenden Graphic Novel betrieben wurde und überhaupt und sowieso – „Terror“ ist Meilenstein und Meisterwerk gleichermaßen und man darf sich berechtigt fragen, wie Janus dem jemals noch eins obendrauf setzen wollen.

Halsey – If I Can’t Have Love, I Want Power

Foto: Capitol Records

Im Gespräch mit Apple Music erklärte Halsey, dass das aktuelle Album nur durch Zufall entstanden sei. „Ich habe nicht versucht, eine politische Platte zu machen oder eine Platte, die in ihrer eigenen Tiefe ertrinkt – ich habe einfach darüber geschrieben, was ich fühle. Und ich erlebe gerade etwas, das sehr nuanciert und sehr kompliziert ist“ sagt Halsey über das Album, das die Schwangerschaft sowie die Geburt des ersten Kindes Halseys thematisiert – und all die Ängste und die negativen Gefühle, die neben der Freude, ein Kind zu erwarten, eben immer auch Bestandteil einer Schwangerschaft sein können. „Der Grund, warum das Album eine Art Horrorthema hat, ist, dass diese Erfahrung in gewisser Weise ihre Schrecken hat. Ich glaube, jeder, der mich so lange nach der Mutterschaft hat sehnen hören, hätte erwartet, dass ich ein Album voller Dankbarkeit schreibe. Stattdessen habe ich gesagt: ‘Nein, dieser Scheiß ist so beängstigend und so entsetzlich. Mein Körper verändert sich und ich habe keine Kontrolle über irgendetwas.’ Für manche Frauen ist eine Schwangerschaft ein Traum – und für manche ein verdammter Albtraum. Das ist die Sache, über die sonst niemand spricht.“ Als musikalische Partner wählte Halsey Musiker, die einem bei dieser Thematik möglicherweise nicht als allererstes in den Sinn kommen würden: Trent Reznor und Atticus Ross, die entweder bei Nine Inch Nails Krawall machen oder Soundtracks abliefern und hier ihre unverkennbare Handschrift in die Musik einfließen lassen. So ist denn Halseys höchst bemerkenswertes Album, neben den gelungen und intensiven Texten, auch ein auf- und anregender Spagat zwischen Pop und düsteren Industrial-Anleihen. Gleichermaßen einnehmend und eingängig, wie auch unbequem und düster. Definitiv eines der großartigsten Alben, die das Jahr 2021 hervorgebracht hat.

Jarvis Cocker – Chanson d‘Ennui Tip-Top

Cover des Albums Chansons D'Ennui von Jarvis Cocker.
Foto: ABKCO Music And Records

Mehr Metaebene als bei diesem Album geht vermutlich kaum. Ich lasse direkt mal Jarvis Cocker selbst zu Wort kommen, der Euch am besten erklären kann, was es mit diesem wunderbaren Werk auf sich hat: „Im neuen Wes Anderson Film „The French Dispatch“ gibt es einen fiktiven französischen Popstar namens Tip Top. JARV IS… wurden gebeten, eine Version von “Aline” (ursprünglich ein Hit in den 60er Jahren für den nicht-fiktiven französischen Popstar Christophe) unter dem Deckmantel von Tip Top aufzunehmen. Ihr habt es vielleicht schon im Trailer zum Film gehört. Eines führte zum anderen und jetzt gibt es ein ganzes Tip Top-Album “Les Chansons d’Ennui”, das am 22. Oktober veröffentlicht wird (am selben Tag, an dem der Film weltweit in die Kinos kommt). Da ich mit einer tiefen Liebe zu französischem Pop aufgewachsen bin, ist für mich ein Traum in Erfüllung gegangen: Ich darf Lieder singen, die von Künstlern wie Gainsbourg, Brigitte Fontaine, Françoise Hardy, Jacques Dutronc berühmt gemacht wurden – und dazu noch im Duett mit Laetitia Sadier bei “Paroles,Paroles”.” Das Ergebnis kann sich hören lassen. Nachdem Jarvis Cocker mit „Room 29“ schon ein sehr filmisches Album abgeliefert hat, scheint mir dieses Album voller französischer Chanson-/Pop-Songs mit dem genannten Hintergrund die natürliche Evolutionsstufe zu sein. Wenn ich das Album noch ein paar Mal öfter höre, kann es passieren, dass ich mir Koteletten wachsen lasse und Schlaghosen kaufe.

Damon Albarn – The Nearer The Fountain, More Pure The Stream Flows

Cover des Albums The Nearer the Fountain,More Pure the Stream Flows von Damon Albarn.
Foto: Transgressive Records

Wenn man den Namen Damon Albarn in den Raum wirft, wird den meisten vermutlich zunächst mal sein Projekt Gorillaz in den Sinn kommen, vielleicht auch Blur oder The Good, the Bad & the Queen. Weiterhin ist der ewig umtriebige Tausendsassa aber auch als Solokünstler unterwegs, der gelegentlich unter eigenem Namen Musik veröffentlicht. So zum Beispiel erst wieder im November des Jahres 2021. Albarn, gebürtiger Londoner, ist mittlerweile auch Staatsbürger des wunderschönen Fleckens Erde namens Island. Und diese wilde, schroffe Schönheit dort inspirierte ihn zum aktuellen Album. Ursprünglich hätte dieses Album ein einziges, langes Instrumentalstück werden sollen, verwandelte sich unterwegs aber in das, was wir nun genießen können. Und auch wenn die Landschaften Islands die musikalische Inspiration lieferten, thematisch serviert Albarn andere Dinge. Zerbrechlichkeit, Verlustängste, Wiedergeburt. Weiterhin sagt er: „Ich war auf meiner ganz eigenen finsteren Reise, während ich diese Platte gemacht habe, und das hat mich zu der Überzeugung gebracht, dass eine reine Kraftquelle noch existieren könnte“. Ein gleichermaßen ruhiges wie intensives Album, das – einiges an Vorstellungskraft vorausgesetzt – in der Lage ist, Hörende auf einen Trip auf das Eiland im hohen Norden zu schicken.

ME REX – MEGABEAR

Cover des Albums Megabear von Me Rex.
Foto: Big Scary Monstersq

Das Album mit dem spannendsten Konzept des Jahres wird wohl „MEGABEAR“ der britischen Band ME REX gewesen sein. Was sie im Sinn hatten: ein unendliches Album zu schaffen. Eines, das sich immer wieder neu anordnen lässt und dessen Bestandteile sich so nahtlos zusammenfügen, dass sich das Album quasi endlos hören lässt. Um nicht zuletzt auch ein bisschen mit dem scheinbar allmächtigen Algorithmus von Spotify zu spielen. Dafür schufen sie rund 50 Songfragmente von jeweils rund 30 Sekunden Spieldauer. Via Zufallswiedergabe lässt sich ein immer wieder neues Hörerlebnis generieren, denn die einzelnen Fragmente gehen nahtlos ineinander über. Darüber hinaus erschuf die Band eine Art Tarot-Kartenspiel, eine Karte passend zu jedem Fragment des Albums. Wer sich als nicht auf die Zufallswiedergabe des Musikplayers seines Vertrauens verlassen möchte, kann das auch ganz altmodisch handhaben: Karten mischen, legen und entsprechend der so generierten Reihenfolge das Album genießen. Ich garantiere Euch, es macht auch dann Sinn.

Hania Rani – Music For Film And Theatre

Cover des Albums Music For Film And Theatre von Hania Rani.
Foto: Gondwana Records

Die Hörerschaft von Hania Rani dürfte in Deutschland bisher vermutlich eher überschaubar sein. Neben ihrem Tun für eigene Projekte ist sie immer wieder auch als Komponistin für Bühne und Fernsehen aktiv. Diese Arbeiten sind aller Wahrscheinlichkeit hierzulande noch unbekannter. Das macht aber nichts, auf dem Album „Music For Film And Theatre“ sind ausgewählte (Instrumental-)Stücke versammelt, die es entweder in die finale Fassung eines Bühnen- oder Fernsehspiels schafften – oder eben genau das nicht, weil sich die verantwortlichen Regisseur*innen letztlich doch anders entschieden. Dominiert vom wunderbaren Klavierspiel Hania Ranis sind auf diesem Kleinod eines Albums zwölf Songs versammelt, die erahnen lassen, warum sie als musikalisches Beiwerk für Schauspiel dienten – weil sie die Fantasie anregen und einen höchst individuellen Film vor dem geistigen Auge der Hörer*innen abzuspielen in der Lage sind. Wer sich für instrumentale Musik, Filmmusik und dergleichen begeistern kann und darüber hinaus eine Schwäche für melancholische, vom Klavierspiel geprägte Melodien hat, bekommt hier ein musikalisch sehr umschmeichelndes Album von betörender Schönheit geboten.

Charli Adams – Bullseye

Cover des Albums Bullseye von Charli Adams.
Foto: Color Study

Charli Adams, so heißt es, wuchs in einem toxischen, konservativen Umfeld in Alabama auf und ihr Debütalbum „Bullseye“ sei der Versuch, sich daraus zu befreien. Irgendwo zwischen Bedroom Pop, Emo und alternativem Rock angesiedelt, erzählt Charli Adams wunderbare Coming-of-Age-Geschichten, in die man sich selbst dann noch hineinversetzen kann, wenn die eigene Jugend vielleicht schon die ein oder andere Dekade zurückliegt. Der besondere Charme dieses Albums ist in dem Umstand zu finden, dass es keine große Sache ist. Keine zum Bombast aufgebauschte Produktion, keine weltverändernden Themen. Es wirkt beinahe so, als würde man mit Charli in irgendeiner verrauchten Spelunke sitzen bei einem Glas Whiskey, vielleicht zwei, irgendwo im Hintergrund raucht jemand eine Tüte, aus der Jukebox tüdelt unaufdringliche Musik – und Charli erzählt uns dabei aus ihrem Leben, von den Dingen, die sie umtreiben. Apropos Spelunke: Den Titel „Bullseye“ soll ihr Justin Vernon von Bon Iver beim Dartspielen in einem ebensolchen Etablissement in Nashville verliehen haben.

Hans Zimmer – The Art and Soul of Dune (Companion Book Soundtrack)

Cover des Albums The Art and Soul of Dune von Hans Zimmer.
Foto: WaterTower Music

Dass die Verfilmung von Frank Herbert „Dune“ durch Denis Villeneuve für die Macher ein ganz großes Ding zu sein scheint, zeigt sich in vielen Punkten. Nach meinem Dafürhalten ist „Dune“ einer der bildgewaltigsten Filme seit Jahren. Schon wieder möchte ich so viele Szenen als Standbild ausgedruckt und gerahmt an die Wand hängen. Ging mir zuletzt bei „Blade Runner 2049“ so – übrigens auch von Villeneuve. Ansonsten beeindruckte mich der Film dadurch, dass er in einer Breite aufgezogen wurde, die sich hinter „Herr der Ringe“ oder „Star Wars“ nicht zu verstecken braucht. Ich war im Kino förmlich platt gebügelt und freue mich auf Teil 2, der wohl schon grünes Licht bekommen haben soll. Dass „Dune“ einen mächtigen Impact auf die Macher hatte, zeigt sich auch an einem anderen Fakt: selten hat Hans Zimmer wohl so viel rund um einen Film komponiert, niemals zuvor hat er sich so sehr von dem, was man als „typisch Hans Zimmer“ bezeichnen würde, entfernt. Wer zuletzt die Augen verleierte, weil gefühlt jeder Hollywood Blockbuster mit Zimmers basslastigen Klängen versehen wurde und daraufhin vielleicht fürchtete, er hätte hier erneut den Score einem bestimmten musikalischen Hauptthema untergeordnet, kann aufatmen. „Dune“ ist Zimmers beste Arbeit bisher, die in einem umfangreichen Soundtrack mündete. Und in einem „Sketchbook“-Soundtrack. Sowie, und das ist wohl wirklich ein Novum, in einem Soundtrack zu einem Buch. Richtig gelesen. Für „The Art and Soul of Dune“ tauchte Zimmer noch einmal mehr in die Welten des Wüstenplaneten ab. Wer sich also noch mehr in den atmosphärischen Klängen verlieren möchte, die die Welt des Wüstenplaneten zum sehr wesentlichen Teil zum Leben erweckten, bekommt hier sicherlich höchst willkommenen Nachschub.

Sarah Lesch – Triggerwarnung

Cover des Albums Triggerwarnung von Sarah Lesch.
Foto: Räuberleiter GbR

Dieses Album trägt seinen Namen sehr zu Recht. Besonders Frauen, die auf die ein oder andere Weise Opfer von sexualisierter Gewalt geworden sind, werden durch Songs wie „Schweigende Schwestern“, in denen Sarah Lesch von Vergewaltigung, Abtreibung und dem furchtbaren Gefühl, es wäre die eigene Schuld gewesen, dass alles so gekommen ist, möglicherweise getriggert. Dieses Album, verpackt in ganz wunderbare Singer-Songwriter-Chanson-Pop-Songs, ist ein krasses Album – und so, so wichtig! Vermutlich ist Sarah Lesch hier das wichtigste deutschsprachige Album des Jahres 2021 gelungen. Wenn nicht sogar darüber hinaus. Mit einer Leichtigkeit, die sagenhaft ist, nimmt sie kein Blatt vor den Mund, wenn sie die (in den meisten Fällen manngemachten) Missstände sehr deutlich anprangert. „Drunter machen wir’s nicht“ ist eine so wütende Anklage an Männern, die sich gegenüber Frauen als etwas Besseres aufführen. Von Mansplaining, Manspreading, Großkotzigkeit, privilegiertes-Arschloch-sein, dumme/abfällige Sprüche reißen, ungleiche Verteilung von Mental Load, generelle Ungleichstellung der Geschlechter, Anti-Feminismus bis hin zu Sexismus und darüber hinaus – die Liste möglicher Dinge, denen sich Frauen in der Gesellschaft tagtäglich ausgesetzt sehen, ist verflucht lang. #MeToo ist nur die Spitze des Eisberges. Männer, Väter von heranwachsenden Söhnen – hört Euch dieses Lied bitte unbedingt mal aufmerksam an. Erkenntnisgewinn ist garantiert.

Manchmal nimmt Sarah Lesch auf sehr anrührende Weise Abschied (so wie in „Unten am Fluss“ von ihrer Oma), manchmal erzählt sie tragische Geschichten (wie in „Die Geschichte von Marsha P. Johnson“, Mitglied der Gay Liberation Front und AIDS Aktivität, 1992 kurz nach einer Gay Pride Parade leblos treibend im Hudson River gefunden. Die Polizei ging von Selbstmord aus, natürlich, schließlich wurde New York seinerzeit von einer Welle der Welt gegen LGBT-Menschen erfasst, Delikte der Polizei inklusive, und die Wunde am Hinterkopf wurde dabei großzügig übersehen). Ich kann mir vorstellen, dass „Triggerwarnung“ Betroffenen Trost spendet. Und ich kann mir darüber hinaus vorstellen, dass das mehr das Anliegen von Sarah Lesch war als ein Album aus puren Unterhaltungszwecken zu machen. Viele Songs dieses Albums vermitteln den Eindruck, dass die angesprochenen Themen endlich mal rausmussten, dass ihnen endlich mal Gehör verschafft werden musste. Es ist für uns alle ein Hauptgewinn, dass es mutige Künstler*innen wie Sarah Lesch gibt, die das Schweigen durchbrechen. Und gleichzeitig ist es gut vorstellbar, dass der Titel des Albums wörtlich zu nehmen ist.

Beethoven X – The AI Project

Cover des Albums Beethoven X.
Foto: Modern Recordings

Ta-ta-ta-taaaaa … Selbst größten Klassikmuffeln dürfte die ein oder andere Melodie Beethovens bekannt sein. Ob nun aus seiner 5. Sinfonie oder „An die Freude“ – irgendwas vom alten Meister steckt als Ohrwurm mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in jedem Koppe. Beethoven verstarb im Jahr 1827 und hinterließ die nur in Skizzenform verfasste Notation dessen, was seine 10. Sinfonie hätte werden sollen – und die seit ehedem den Beinamen „Die Unvollendete“ trägt. Oft haben sich schlaue Menschen schon die Frage gestellt, wie die Sinfonie wohl geklungen hätte, wenn Beethoven noch in der Lage gewesen wäre, sie fertigzustellen. Nun, ein Projekt, das von der Telekom anlässlich des 250. Geburtstags von Beethoven angeleiert wurde, gibt auf diese Frage nun endlich eine Antwort – Mithilfe des Einsatzes von künstlicher Intelligenz! Ein kleines Team von Musikinformatikern, Computerwissenschaftlern, Programmierern und Komponisten machte sich in einem zweistufigen Projekt daran zu vollenden, was Beethoven nicht mehr vergönnt war.

„In der ersten Phase wurde die KI gefüttert mit Beethovens kompositorischem Werk sowie zeitgenössischer Musik Dritter und vor allem mit den Notenfolgen, die Beethoven bereits für die 10. notiert hatte. Damit wurde ein differenzierter Erkenntnishorizont geschaffen, der definierte, was für die KI als Allgemeinwissen, als spezifisches Wissen Beethovens und was als noch unbekanntes Zukunftswissen zu begreifen ist. 
 
In der zweiten Phase wurde die KI zur Kreativität aufgefordert. Dr. Matthias Röder, Leiter des Karajan-Instituts [und quasi Projektleiter, Anm.]: “Die KI hat all das Wissen, das wir ihr bereitgestellt haben, aufgegriffen und weitergedacht. Über Nacht entstehen dann vielleicht 300 verschiedene Versionen eines Motivs, die alle denselben Anfang haben, sich aber von dort alle ein bisschen anders entwickeln. Aus dieser Vielzahl an Variationen hat der Komponist in unserem Team, Walter Werzowa, dann eine Auswahl getroffen, die KI abermals damit gefüttert und wieder Hunderte von neuen Vorschlägen bekommen. Das ist unendlich faszinierend, denn wenn es algorithmisch sehr gut gemacht wird, dann ist jeder Versuch plausibel.”
 
Die 10. Sinfonie, genauer, die Sätze 3 und 4, wie sie auf dieser Einspielung durch das Beethoven Orchester Bonn unter der Leitung seines Dirigenten Dirk Kaftan zu hören ist, ist also eine dialogische Zusammenarbeit zwischen Mensch und Maschine, bei der die künstlichen neuronalen Netzwerke der KI zu eigenständiger Kreativität aufgefordert wurden, der Mensch jedoch richtungsentscheidend verantwortlich für die finale Partitur zeichnete. Während die KI kalte, emotionslose, aber gleichwohl musikwissenschaftlich fundierte Midi-Noten lieferte, übertrugen der Komponist Walter Werzowa, die Musiker und ihr Dirigent die errechnete Notation in ein lebendiges Werk. Dabei erlaubte sich das Projektteam eine wichtige, von Beethoven so nicht vorgesehene Intervention, indem im vierten Satz eine Kirchenorgel, gespielt von Cameron Carpenter, zum Einsatz kommt.“

Natürlich ist es reine Spekulation, ob das Ergebnis so ausgefallen ist wie das, was Beethoven im Sinn hatte, als er jene Skizzen schuf, die als Grundlage dienten. Im höchsten Maße faszinierend ist das aber schon. Wenn man heute vom Einsatz von KI spricht, dann ist eine sehr weit verbreitete Assoziation, die Menschen dazu in den Sinn kommt, der Einsatz in selbstfahrenden Autos. Dass KI aber auch genutzt werden kann, um Musik zu schaffen, ja mehr noch sogar unvollendete Werke alter Meister schlüssig und überzeugend zu vollenden, ist ein spannendes Novum und willkommene Abwechslung.

Vorheriger Artikel

50 sehr gute Lieder des Jahres 2021

Nächster Artikel

Musikvideo: M/A/T – Nueva Esperanza

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Lies als nächstes