Ben Watkins von Juno Reactor, er sitzt, sich auf seine Arme stützend, vor einem großen Mischpult.

Musikvorstellung: Juno Reactor – The Golden Sun Of The Great East

Foto: Peat Bakke from Portland, OR, USA, CC BY 2.0 , via Wikimedia Commons

Den Namen Juno Reactor in den Raum gestellt wird die Zahl derer, die bei der Verkündung ein neues Album zeichne sich am Horizont ab, die Arme hochreißen und Hurra! schreien, vergleichsweise überschaubar sein. Spekulierte Ursache: mangelnder Bekanntheitsgrad von Ben Watkins’ Electroprojekt. Dabei dürfte Juno Reactor wesentlich bekannter sein als Ihr (oder ich?) vielleicht vermutet. Erinnert Ihr Euch beispielsweise an die Verfolgungsjadg auf dem Highway in dem Film „Matrix: Reloaded“? Klingelt Euch womöglich noch dieser abgefahrene, treibende Electro-Beat in den Ohren? Ja? Schön. Das ist Juno Reactor. Und dieser Reaktor startet mit „The Golden Sun Of The Great East“ die nächste Stufe der elektronisch-instrumentalen Kernschmelze. Und Ihr, liebe Geschmacksmenschen, solltet dabei sein.

Das neue Juno Reactor Album kommt wie so oft ohne Gesang aus. Sieht man mal von ein paar Hintergrundvocals ab, ist da nichts, aus dem sich bei oberflächlicher Betrachtung ein Inhalt, eine Geschichte oder Ähnliches ableiten ließe. Dennoch hat sich Ben Watkins Gedanken gemacht und den Titel „The Golden Sun Of The Great East“ nicht ohne Grund gewählt. „Der Titel „The Golden Sun Of The Great East“ ist inspiriert von der Vision Shambhalas. Die Geschichte besagt, dass jeder im Königreich Shambhala anfing, durch die Erzeugung von Liebe und Mitgefühl Medititation und Fürsorge für andere zu üben“, erklärt er und zitiert damit Sakyong Mipham Rinpoche, den Kopf der buddhistischen Shambhala-Linie.

„Wenn wir selbstlose Liebe und Mitgefühl erschaffen, manifestieren wir enorme Macht, um anderen und unseren Planeten zu helfen. Wir leben in einer sehr kritischen Zeit – die Menschlichkeit ist auf einem ausgesprochen prekären Kurs. Gedankenlos konsumieren wir unsere natürlichen Ressourcen und verändern unser Klima. Viele Menschen sind auf einer Suche nach einem Sinn jenseits von Materialismus und Negativität. Die goldene Sonne des großen Ostens stellt die natürliche Quelle von Glanz und Brillanz in der Welt dar, welche die angeborene Wachsamkeit menschlicher Wesen ist. Das ist unser ursprüngliches Potenzial, auf das wir jetzt mehr als je zuvor zurückgreifen müssen. Deshalb sind diese Terma-Lehren jetzt, an diesem bestimmten Punkt in der Geschichte der Menschheit, manifestiert.“

Auch greifbare Themen wie das Minenunglück in Chile im Jahr 2010 finden Berücksichtigung

Diesem philosophischen und/oder buddhistischen und/oder religiösen und/oder esoterischen Ausführungen von Ben Watkins kann man folgen, muss man aber nicht. Gänzlich überraschend ist es aber nicht, dass der Fokus von Juno Reactor einmal mehr auf Dingen liegt, die über die schlichte menschliche Existenz hinausgehen. Da es aber keine Texte gibt, gibt es auch keinerlei Verführungen, der Musik in einer bestimmten Richtung zu folgen. Selten waren Gedanken wohl freier als hier. Dass sich Juno Reactor auch mit sehr viel irdischeren Dingen beschäftigt, die dennoch den Kreis zum Grundthema des Albums schließen, zeigt das Stück „Playing With Fire“. „Dieses Stück wurde als Soundtrack für das Minenunglück in Chile im Jahre 2010 geschrieben“, sagt Ben. „Ich klebte im Internet, als einer nach dem anderen in der Rettungskapsel The Phoenix wieder herauskamen. Mein Herz pumpte und ich war nervös, war mit all den Menschen an der Oberfläche, die warteten und beteten. Die klaustrophobischen Bedingungen der Bergleute waren mit mir seit Beginn des Unglücks, also schrieb ich diesen Song für sie. Es inspirierte mich.“

Dass Watkins Euch auf eine Reise quer durch Eure Gedanken und Gemütszustände schicken möchte, ist nicht nur freie Interpretation des Autors dieser Zeilen, sondern erklärtes Ziel dieses Juno Reactor Albums: „Ähnlich dazu [wie zu „Playing With Fire“] gibt es zu allen Songs eine Geschichte in meinem Kopf. Bei einigen stört es mich nicht, sie zu teilen; bei anderen, glaube ich, ist es besser, Ihr erschafft Euch Eure eigene“.

Wilde Mixtur unterschiedlichster musikalischer Stile verhindert Schubladen

Weg vom Inhalt, kommen wir an dieser Stelle auf die musikalische Verpackung zu sprechen. Da Juno Reactor auch auf dem aktuellen Album eine wilde Mixtur verschiedenster Stile zu einer ganz eigenen Mischung zusammenrührt, ist es schlicht nicht möglich, eine Schublade für die hier präsentierte Mucke zu finden. Sie ist instrumental, sie ist elektronisch, sie ist treibend und pulsierend. Es gibt jede Menge orchestrale Elemente, welche die Musik beinahe in Richtung Filmmusik drängen. Es gibt aber auch unzählige Elemente, die an Stammesmusik oder auch an indische und indianische Musik erinnern. Die Single „Final Frontier“, ein mächtiges Epos von immerhin gut 10 Minuten Spielzeit, erinnert teilweise sogar an eine Mischung aus New Age Veteranen wie Vangelis oder Jean Michel Jarre, gepaart mit akustischen Gitarrensounds, die Westernfilmen entsprungen sein könnten. Und ein bisschen 90er-Jahre Techno ist auch mit dabei.

Generell gilt: Die oft treibenden Beats, die üppigen Synthieteppiche und die zahllosen Effektspielereien überall vermitteln das Gefühl, man bräuchte nur noch die Arme ausbreiten und sich rücklings eine Klippe hinabfallen lassen – der musikalische Auftrieb wird einen dann schon fangen und davontragen. Eine Bitte: belasst es bei dem Gefühl und probiert bitte nicht, ob das tatsächlich funktioniert. Man kann sich kaum vorstellen, wie gut sich so vermeintlich unvereinbare musikalische Richtungen zu so einem höchst genialen Ganzen vermischen lassen, wenn man es nicht einmal selbst gehört hat. Die Messlatte instrumentaler Musik wird in diesem Jahr von Juno Reactor gelegt. Zweifel, dass dieses Niveau in nächster Zeit überboten wird, sind berechtigt.

Es gibt an dieser Stelle nicht mehr viel zu sagen. „The Golden Sun Of The Great East“ darf als eines der besten (Instrumental-)Alben des Jahres 2013 gefeiert werden. Dieser Reaktor ist heiß bis zur Kernschmelze, wobei der Kern Euer musikalisches Herz ist. Dieses Abum ist ein absolutes Muss für alle, die sich für elektronische Musik, für Soundtracks, für Synthie-Mucke und/oder Weltmusik interessieren. Besser geht es nicht.

Cover des Albumsy The Golden Sun Of The Great East von Juno Reactor.
Erscheinungsdatum
23. April 2013
Band / Künstler*in
Juno Reactor
Album
The Golden Sun Of The Great East
Label
Metropolis Recordsy
Unsere Wertung
4.6
Fazit
s gibt an dieser Stelle nicht mehr viel zu sagen. „The Golden Sun Of The Great East“ darf als eines der besten (Instrumental-)Alben des Jahres 2013 gefeiert werden. Dieser Reaktor ist heiß bis zur Kernschmelze, wobei der Kern Euer musikalisches Herz ist. Dieses Abum ist ein absolutes Muss für alle, die sich für elektronische Musik, für Soundtracks, für Synthie-Mucke und/oder Weltmusik interessieren. Besser geht es nicht.
Pro
Eine wirklich wilde Mischung verschiedenster, meist sehr treibender Musikrichtungen und -stile, die eine Einordnung unmöglich machen
Irre Abwechslungsreich und nicht eine Sekunde langweilig
Akustisch provoziertes Kopfkino
Kontra
4.6
Wertung
Vorheriger Artikel

Ghost & Writer: Neue Single „Never Take Fire“ als kostenloser Download erhältlich

Nächster Artikel

Ghost & Writer: Schluss. Aus. Ende. Vorbei.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Lies als nächstes