Cover des Comics Moon Knight Collection von Brian Michael Bendis aus dem Panini Verlag.

Des Wahnsinns fette Beute: „Moon Knight Collection von Brian Michael Bendis“. Die komplette Serie des Comic-Großmeisters als deutsche Erstveröffentlichung

Foto: Panini Comics

Marc Spector hat ein gewaltiges Problem: Nachdem der Söldner während eines Einsatzes in Ägypten über den Haufen geballert wurde, brachte ihn der ägyptische Gott Khonshu zurück ins Reich der Lebenden. Wie man inzwischen weiß, hat so ein Pakt immer eine Kehrseite. Ist ja nicht so, dass Allmächtige irgendwas aus reiner Nächstenliebe tun würden. So hat beispielsweise Johnny Blaze nicht weniger als seine Seele an den Teufel verbimmelt, um seinen nächsten Anverwandten vor dem Krebstod zu retten und, nachdem sich dieser Deal als gezinkt herausgestellt hatte, brettert er nun als Ghost Rider durch die Botanik. Marc Spector hingegen darf als Moon Knight, quasi der Avatar von Konshu, die Nacht durchflattern und auf, nun ja, eher unkonventionelle Weise für Ordnung sorgen. Vermutlich wäre Marc Spector froh, wenn dies sein einziges Problem wäre. „Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust,
die eine will sich von der andern trennen“, heißt es in Goethes Faust. Ähnlich ist es auch bei Spector, nur dass er direkt zwei weitere Mitbewohner im Unterstübchen hat: Steven Grant und Jake Lockley. Schuld ist eine dissoziative Identitätsstörung. Nachdem die Figur Moon Knight durch die gleichnamige Marvel-Serie bei Disney+ im vergangenen Jahr wieder einiges an Aufmerksamkeit bekommen hat, veröffentlichte Panini Comics kürzlich die „Moon Knight Collection von Brian Michael Bendis“ mit dem hübschen Untertitel „Vollmond über Los Angeles“. Eine deutsche Erstveröffentlichung übrigens. Moon Knight, Brian Michael Bendis und eine Premiere sind gleich drei sehr gute Gründe, dem Hardcover-Comic trotz des stolzen Preises von 45 Euro Aufmerksamkeit zukommen zu lassen. Oder?

Also wie gesagt, Marc Spector hat ein Problem. Wie sich im Laufe dieses mit „wilder Ritt“ noch sehr zurückhaltend umschriebenen Werks herausstellen wird, geht da noch so einiges mehr ab in seinem Kopf. Wer mit dem Moon Knight durch die Fernsehserie Bekanntschaft gemacht hat: Dieser Comic, ursprünglich bereits 2011 erschienen, hat schon ein paar nicht unwesentliche Unterschiede aufzuweisen. So ist Spector hier die primäre Figur, während es in der Serie ja eher Steven Grant ist, der die primäre Kontrolle über den Körper hat, welcher dann im schicken Wams im blassen Mondlicht mit dem Teufel tanzt. Zudem ist Spector hier von seiner Knechtschaft Konshus gegenüber befreit und Grant muss sich auch nicht mehr mit schlecht bezahlten Aushilfsjobs in einem Londoner Museum über Wasser halten. Und überhaupt London: Die Story spielt, wie anhand des Untertitels gar nicht mal so schwer zu erraten ist, in Los Angeles. Marc Spector hat sein verrücktes Leben zu einer TV-Serie gemacht, die ihm ein angenehmes Leben ermöglicht. Alles könnte soweit eigentlich janz dufte sein, wären da nicht ganz plötzlich diverse Avengers, die ihm einen Besuch abstatten.

Wolverine, Spider-Man und selbstredend Captain America stehen bei ihm auf der Matte und erklären, dass L.A. sein Schutzgebiet sei, schließlich residiere er ja hier. Und damit sich das auch lohnt, machen die Gerüchte von einem Kingpin die Runde, der die Federführung aller kriminellen Machenschaften in der Stadt zu übernehmen gedenkt. Spector, hier auch Teil der Avengers, geht der Sache auf den Grund. Und, na klar, kommt es alsbald zur üblichen Kloppe, denn da ist tatsächlich jemand unterwegs, der gar garstige und finstere Pläne verfolgt. Auf dem Weg, dem Evil Knevil das Handwerk zu legen, macht Spector unter anderem Bekanntschaft mit Echo (inzwischen selbst mit einer eigenen, sehr sehenswerten Serie bei Disney+ bedacht). Und überhaupt Wolverine, Spider-Man und Captain America – können wir bei einem Typen wie Spector, in dessen Kopf sehr eigenwillige Dinge vorgehen, eigentlich davon ausgehen, dass die besagten Avengers tatsächlich anwesend sind? Frage für zwei andere Freunde, die auch nur in Spectors Kopf existieren …

Dass Brian Michael Bendis liefert, wenn er einen Comic schreibt, wird wahrscheinlich jeder Mensch mitbekommen haben, der sich jemals auch nur ein bisschen näher mit der bunten Welt der kostümierten Held*innen befasst hat. Gerade in den frühen 2000er-Jahren war Bendis einer der erfolgreichsten Autoren überhaupt, seine Werke waren damals fast durchgängig in den Top 5 amerikanischer Bestseller-Listen, zudem ist er fünffacher Preisträger des in Comic-Kreisen sehr renommierten Eisner Awards. 18 Jahre lang war Bendis einer der wichtigsten Autoren bei Marvel und ohne ihn hätten wir heute vermutlich keine Figuren wie den „Brooklyn Spider-Man“ Miles Morales, der das sogenannte Spider-Verse anführt. Man darf also durchaus hohe Erwartungen an einen Run legen, den Bendis einer Figur widmet. Und nachdem ich hier schon diverse Lorbeeren ausgeschüttet habe, darf ich vielleicht kurz und knapp einfach mal in den Raum stellen: Die Geschichte, die der Mann hier auf rund 300 Seiten verteilt erzählt, ist ein ziemlich wilder Ritt, vor allem durch die angeknackste Psyche des Hauptcharakters. Dem Umfang ist es zu verdanken, dass vielen Figuren genug Raum für Entwicklung und somit einer glaubwürdigen Darstellung bleibt. Der L.A.-Kingpin ist ziemlich blass und eher als Beiwerk zu sehen, zumal ja auch irgendwer einfach der Bösewicht sein muss. Interessanter ist die Beziehung von Spector zu Maya Lopez alias Echo und den besagten drei Avengers. Ihr seht die doch auch, oder?

Zum irren Geschehen passen die sehr lebhaften, wenn auch nicht zwingend überragend schönen Zeichnungen von Alex Maleev. Bendis und er hatten sich auch schon mal für Marvels „Daredevil“ zusammengetan. Die Bilder wirken sehr stilisiert, teilweise auch sehr skizzenhaft und doch, allen spontanen Assoziationen an Scribbles zum Trotz, sehr genau geplant, durchdacht und durchgeführt. Da ist gewiss nichts dem Zufall überlassen, auch wenn es auf den ersten Blick so wirkt. Schön sind die teilweise sehr breiten Panels, die sich über beide Seiten erstrecken und an 16:9-Breitbildfilme erinnern. Fehlen eigentlich nur noch die schwarzen Kinobalken oben und unten. Das ist schon eine gelungene Kombination, so in Summe. Lediglich eine Sache hat mich wirklich irritiert. Warum hat Captain America eigentlich in nahezu jeder Szene, in der er zu sehen ist, in jedem Panel, in dem er auch nur am Rande auftaucht, seinen Schild in der Hand? Selbst in entspannten Szenen, wo gerade nicht die Post abgeht? Ist das mit ihm verwachsen oder was ist da los? Ich hatte mich da irgendwann so dran hochgezogen, dass ich das nicht mehr übersehen konnte und ein bisschen tut mir das vielleicht auch gerade leid, wenn ich bei Euch da jetzt für eine entsprechende Inception gesorgt haben sollte. Aber wirklich nur ein bisschen.

Wem es nach dem drölften Binge-Watching von „Moon Knight“ bei Disney+ nach mehr Stoff des Ritters, der Monden ist (wie es Rilke vielleicht sagen würde) dürstet, dem sei das Buch wirklich ans Herz gelegt. Bendis-Fans bzw. allen, die mit Herzchen in den Augen an den „Daredevil“-Lauf des Duos Bendis/Maleev denken, auch. Und natürlich auch denen, die Bock haben auf eine Comiclektüre, bei denen vielleicht nie so gaaanz klar ist, was eigentlich gerade tatsächlich außerhalb des Kopfes von Marc Spector passiert. Ist er da gerade ernsthaft wie Spider-Man mit Netzpatronen durch die Straßenschluchten geschwungen? Werft übrigens vorsichtshalber einen genaueren Blick auf das Cover. Nur so als Tipp. Jede Menge Action, Drama und nicht gerade wenig Gewalt sind in dieser Story inklusive. Um noch mal auf den Preis zurückzukommen: man bekommt sehr rasante, sehr kurzweilige und sehr schnell gelesene Lektüre geboten, die man gewiss immer wieder mal aus dem Regal zieht. Kann man mehr verlangen? Das glaube ich nicht, Tim.

Cover des Comics Moon Knight Collection von Brian Michael Bendis aus dem Panini Verlag.
Erscheinungsdatum
23. Januar 2024
Verlag
Panini Comics
Zeichnungen
Alex Maleev
Inhalt
Brian Michael Bendis
Storys
Moon Knight (2011) 1–12
Seiten
300
Unsere Wertung
4.1
Fazit
Pro
Die komplette "Moon Knight"-Serie von Bendis und Maleev erstmals in Deutsch!
Wie üblich bei Bendis: großartige, spannende Unterhaltung mit hohem Dialoganteil
Auf den ersten Blick skizzenhaft wirkende Zeichnungen von Maleev verleihen der Story die nötigen visuellen Reize
Teilweise geschicktes Spiel mit der Frage, welche Figur gerade tatsächlich außerhalb des Kopfes von Marc Spector existiert
Kontra
Trotz des Umfangs nicht gerade günstiger Preis
4.1
Wertung
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