Bandfoto von Chvrches, das aus drei nebeneinander gestellten Portraits besteht. Lauren ist in der Mitte, Iain links Martin rechts.

Musikvorstellung: CHVRCHES – The Bones Of What You Believe

Foto: Christina Kernohan

Sagenhaft. Sensationell. Kometenhaft. Das sind nur wenige Umschreibungen, die einem spontan in den Sinn kommen können, wenn man sich die Blitzkarriere des schottischen Trios CHVRCHES anschaut. Es dauerte keine 12 Monate, bis sie von ihrem plötzlichen Erscheinen auf der Bildfläche zu ein paar der am heißesten gehandelten Newcomer*innen dieses Planeten avancierten. Beinahe aus dem Nichts aufzutauchen und noch innerhalb des ersten Jahres beispielsweise einige Supportshows für Depeche Mode zu spielen, das ist eine beachtliche Leistung. Kaum ein Debütalbum wurde wohl so sehnsüchtig erwartet wie „The Bones Of What You Believe“. Zumal bisherige Veröffentlichungen der Band mittlerweile teilweise für gehobene, dreistellige Eurobeträge den Besitzer wechseln. Die Frage, die sich jetzt nur noch stellt, ist: werden CHVRCHES den Vorschusslorbeeren (um nicht zu sagen: dem Hype) gerecht? Sollte das am Ende gar heiße Luft gewesen sein? Oder sind sie wirklich das nächste große Ding?

Ich darf Euch an dieser Stelle schon mal entwarnen: heiß ja, aber heiße Luft ist „The Bones Of What You Believe“ ganz sicher nicht. Des Weiteren: so ganz aus dem Nichts kamen die drei Herrschaften hinter CHVRCHES dann doch nicht. Sowohl Lauren Mayberry (Gesang, Synhties), Iain Cook (Synthies, Gitarre, Bass, Gesang) und Martin Doherty(Synthies, Samplers, Gesang) hatten musikalische Vorerfahrungen und vor der Gründung der CHVRCHES erste Sporen in anderen Bands gesammelt. Um mich an dieser Stelle nicht zu wiederholen, verweise ich zum Nachlesen des Werdegangs der Band auf das Review zur „Gun EP“. Es ist mehr als bemerkenswert, dass es tatsächlich erst Mai des letzten Jahres war, als das Trio den Song „Lies“ veröffentlichte – und damit eine wahre Euphoriewelle lostrat, der sich nicht entziehen konnte, wer jemals mit dieser erfrischenden, einzigartigen und eingängigen Elektro-Pop-Mucke in Kontakt kam. Man möchte beinahe sagen: Wer CHVRCHES einmal hört, bei dem besteht sehr hohe Ansteckungsgefahr bezüglich des CHVRCHES-Fiebers! Dass anfänglich weder richtige Videos noch irgendwelche Fotos zu bekommen waren, ließen den Rummel um die Band nur noch weiter steigen.

Bandofoto von CHVRCHES, das Trio steht vor grünen Pflanzen.
Foto: Christina Kernohan

Kurze Zeit später, irgendwann im Sommer, veröffentlichte sie„The Mother We Share“, und spätestens damit setzte der Hype um die Band so richtig ein. Musikjournalist*innen, -blogger*innen und -enthusiast*innen feierten CHVRCHES als das nächste große Ding in ihrem Genre, beinahe als eine Art Heilsbringende für eine Musikrichtung, die frischen Wind gut vertragen konnte. Fehlte nur noch, dass sie alle wie auf Kommando beim Begriff CHVRCHES Arme hochreißend und Hurra schreiend durch die Botanik wackelten. Eine Platzierung in der ach so renommierten „BBC Sound Of 2013“-Liste folgte, ebenso wie eine Würdigung in der „Pop Prognose“ von Spiegel Online. Weitere Meilensteine eines ereignisreichen Jahres.

Aber was ist eigentlich das Geheimnis hinter diesem wahnsinnig schnellen Erfolg, dem großen Hype und der Begeisterung so vieler Hörer*innen? Unter uns: ein Stück weit ist das sicherlich der zuckersüßen Erscheinung Lauren Mayberrys geschuldet, die mit ihrem porzellanpuppenhaften Auftreten so manches Herz erwärmt haben dürfte. Nu ist die Frau aber nicht nur eine hübsche, sondern vor allem eine begnadete Sängerin, die über eine faszinierende Stimme verfügt– ähnlich fragil wirkend und für sich einnehmend wie der Rest. Und eine durchaus talentierte Songschreiberin obendrein! Ich wage an dieser Stelle eine Prognose: Hier erhebt sich eine in vielerlei Hinsicht bemerkenswerte Stimme, von der wir noch einiges hören werden.

„Für mich stellt diese Band eine Indie-Rock-Formation dar. Allerdings haben wir die Gitarren durch Keyboards ersetzt – wir wollten die Songs ganz bewusst rau und spröde gestalten.“ (Martin Doherty)

Weiterhin sind es die abgefahrenen, teilweise sehr vom musikalischen Geist der 80er geschwängerten Electro-Sounds, gepaart mit der unbändigen Energie einer Indie-Rockband. Fette Bässe, analoge Synthies, flirrende, irrlichternde Klangspielereien, die das Ohr der Hörenden kitzeln, gelegentliche, dem Wave entliehende Gitarren, eingängige Melodien, und Kontraste zwischen süß und bitter, ausgelebt zwischen Inhalt und Musik. Die Assoziation zum Indie-Rock ist übrigens gar nicht so weit hergeholt, sondern tatsächlich Absicht. Martin Doherty wird diesbezüglich wie folgt zitiert: „Für mich stellt diese Band eine Indie-Rock-Formation dar. Allerdings haben wir die Gitarren durch Keyboards ersetzt – wir wollten die Songs ganz bewusst rau und spröde gestalten.“

Neben den bereits bekannten Songs bietet dieses zwölf Songs umfassende Debütalbum noch einige weitere Perlen, die das Abtauchen nicht nur rechtfertigen, sondern geradezu fordern. „Science/Visions“ beispielsweise wäre als Instrumentaltrack ein hübscher Soundtrack für eine spannungsgeladene Fernsehserie der 80er Jahre. „Night Sky“ hingegen macht, dass die Füße wackeln. Dramatisch, temporeich und fesselnd. Was mehr kann man von einem Song erwarten? Oder „Lungs“, in dem Laurens süßer Gesang und die liebliche Melodie fetten, knarzenden Bässen gegenüber steht. Ein tolles Beispiel für die erwähnte Melange aus gewollten Gegensätzen bzw. Kontrasten. Dass der Beat dabei entfernt an „The Mother We Share“ erinnert, stört nicht. Und dann ist da ja auch noch das ergreifende „By The Throat“, bei dem sich die akustischen Emotionen förmlich ins Ohr der Hörenden ergießen. Verpackt in ganz viel 80er-Charme und -Spielerei. Oder „Tether“, mit seiner kinderchorartigen Brigde und der wavigen Gitarre. Hach! Um eine lange Geschichte kurz zu machen: „The Bones Of What You Believe“ bietet 12 charmante, frische, überzeugende, eingängige, tolle, (you name it) Electro-Pop Songs. So nämlich!

Die Band CHVRCHES. Das Trio steht nebeneinander vor einer weißen Wand und alle drei halten sich die Hände vor das Gesicht.
Foto: Christina Kernohan

Glasgow hat schon so einige besondere Persönlichkeiten hervorgebracht, darunter auch Nobelpreisträger. Die Damen und Herren CHVRCHES reihen sich ein in diese bemerkenswert lange Liste. Zumal: wenn die Mitglieder der Simple Minds in dem entsprechenden Eintrag der Wikipedia vertreten sind, dann haben CHVRCHES ihren Platz dort erst recht verdient. Alleine für das sensationellste Electro-Pop Album dieses Jahres. Falls das bis hierhin noch nicht deutlich geworden sein sollte: CHVRCHES sind das nächste große Ding!

Wer sich bereits den schlicht „EP“ betitelten Silberling via Japan-Import ins Regal gestellt hat, für den ist „The Bones Of What You Believe“ mitunter nicht mehr soooooo überraschend. Oder mag es daran liegen, dass die vermeintlichen Knaller dieses Albums bereits im Vorfeld, sozialer Netzwerke sei Dank, bis zur nahenden Reizüberflutung serviert wurden? Richtig, dafür können die CHVRCHES nüscht. Noch im Fazit zur „EP“ schrieb ich, die Vorzeichen stünden gut für die Schotten, die Messlatte für Elektro-Pop in diesem Jahr zu legen. Und genau das ist passiert. Frisch und unverbraucht präsentiert das Trio hier ein Album, das alle anderen – zumindest in diesem Jahr – ganz bequem in die Tasche steckt. Und auch wenn die CHVRCHES wirklich einen kometenhaften Blitzstart hingelegt haben, so glaube ich doch: Es geht erst los. Hier geht noch einiges. Und „The Bones Of What You Believe“ ist ein Pflichtkauf!

Cover des Albums The Bones Of What You Believe von Chvrches.
Erscheinungsdatum
20. September 2013
Band / Künstler*in
CHVRCHES
Album
The Bones Of What You Believe
Label
Vertigo Berlin (Universal Music)
Unsere Wertung
4.3
Fazit
Noch im Fazit zur „EP“ schrieb ich, die Vorzeichen stünden gut für die Schotten, die Messlatte für Elektro-Pop in diesem Jahr zu legen. Und genau das ist passiert. Frisch und unverbraucht präsentiert das Trio hier ein Album, das alle anderen - zumindest in diesem Jahr - ganz bequem in die Tasche steckt. Und auch wenn die CHVRCHES wirklich einen kometenhaften Blitzstart hingelegt haben, so glaube ich doch: Es geht erst los. Hier geht noch einiges. Und „The Bones Of What You Believe“ ist ein Pflichtkauf!
Pro
Obwohl aus altbekannten Zutaten gezaubert, klingt dieses Debüt frisch und unverbraucht und ganz wunderbar neu
Laurens einzigartige und bemerkenswerte Stimme hat an diesem Eindruck durchaus einen gewichtigen Anteil
Die coolen Synthie-Sounds ebenfalls
Auch inhaltlich lohnt genaueres hinhören
Kontra
4.3
Wertung
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