Cover des Albums Best Before End von Zynic.

Musikvorstellung: Zynic – Best Before End

Foto: Zedsdead Records

Auch wenn ich es für gewöhnlich zu vermeiden versuche – manchmal schleicht sich auch bei mir diese „früher war alles besser“-Denke ein. Besonders, wenn es um Musik geht. Das hat vielleicht mit dem Alter zu tun und damit, dass man ab einem gewissen Punkt meist ziemlich festgefahren in seinem musikalischen Geschmack ist. Neulich erst hab’ ich irgendwo gelesen, dass man so ab ca. 30 Jahren nur noch schwerlich für neue Musik zu begeistern ist. Und auch wenn ich mir die Offenheit neuer Musik gegenüber hier quasi auf die Kappe geschrieben habe – ich merke doch, dass es mir zunehmend schwerer fällt, mich für das zu begeistern, was in den Spotify-Jahrescharts regelmäßig die oberen Plätze belegt. Das sind oftmals Künstler*innen und Bands, deren Namen ich in dem Zusammenhang der Jahresendcharts das erste Mal lese. Und spätestens dann wünsche ich mir die gute alte Zeit zurück, als beispielsweise Depeche Mode für Furore sorgten und im Zuge dessen Bands wie Camouflage, Alphaville, Erasure und was weiß ich nicht noch alles an Synthpop-Bands an den Start gingen.

Mit anderen Worten: manchmal vermisse ich den Synthie-Sound der 80er.

Erfreulicherweise gibt es nach wie vor Bands und Musiker*innen, die auch heute noch den musikalischen Zeitgeist jenes Jahrzehnts leben und atmen und Musik schaffen, die direkt wie aus jener Zeit in die Jetzt-Zeit herüber gebeamt zu sein scheint. Nur eben nicht gecovert oder dergleichen, sondern mit altbekannten Zutaten ein neues Süppchen mit ach so vertrautem Aroma gekocht. Eine ganze Zeit lang hätte ich mit felsenfester Überzeugung und aus gelebter Ignoranz behauptet, in Schweden sei man federführend, was das anbelangt. Dabei haben wir auch in unserem Ländle hinreichend Kapazitäten am Start, wenn gleich man als Szene-Fremde*r vielleicht etwas tiefer graben muss. Die Schaufel allerdings an die richtigen Stellen angesetzt, buddelt man dann vermutlich Bands aus wie Beborn Beton oder die Ein-Mann-Armee Zynic, um die es mir nach dieser zugegeben ausführlichen Einleitung geht sowie dessen aktuelles Album „Best Before End“.

Den Text über dieses Album wollte ich längst schon im Kasten gehabt haben. Aber Ihr kennt das – oftmals kommt es erstens anders, als man zweitens gedacht hätte. „Best Before End“ erschien bereits am 20. Mai dieses Jahres, aber ich musste mich ja unbedingt in der Zwischenzeit mit einer Corona-Erkrankung, einem Umzug und wochenlangem Warten auf einen neuen Internetanschluss verlustieren. Das hatte immerhin aber den höchst erfreulichen Nebeneffekt, dass ich über ausreichend Zeit verfügte, das jüngste Schaffenskind von Peter Siemandel in aller Ausführlichkeit zu hören. Und, das möchte ich deutlich sagen, zu genießen!

Gute Synthpop-Mucke alter Schule gibbet nicht nur in England oder Schweden, sondern auch in jenem Land, in welchem dereinst dank Kraftwerk quasi der Grundstein für all das gelegt wurde

Dass der Mann, der nicht allzu oft musikalisch in Erscheinung tritt, zu Großtaten in der Lage ist – man hätte es bereits schon 2011 erahnen können, als er mit Singles wie „Personal Kryptonite“ oder dem zugehörigen Album „Firewalk with me“ auf sich aufmerksam machte. Inzwischen längst zu gern gehörten Immergrünen avanciert, brüllten diese Songs ihrer Hörerschaft förmlich entgegen: hömma, gute Synthpop-Mucke alter Schule gibbet nicht nur in England oder Schweden, sondern auch in jenem Land, in welchem dereinst dank Kraftwerk quasi der Grundstein für all das gelegt wurde – und das heutzutage lieber Rammstein und Helene Fischer aus Aushängeschilder poliert.

Gut Ding will auch im Hause Zynic Weile haben; das letzte, durchaus auch sehr gelungene Album „Neon Oblivion“ datiert auch schon wieder auf das Jahr 2017 zurück. Fünf Jahre also, die Herr Siemandel für sein Publikum mehr als gewinnbringend genutzt hat. Denn was „Best Before End“ an Feuerwerk abfackelt, ist für Genre-Freund*innen eine wahre Wonne! Das Album umfasst die üblichen zehn Songs, die meisten davon haben allerdings so sehr das Potenzial, sich zu Gassenhauern und Evergreens zu entwickeln, dass man diese Worte erfinden müsste, würde sie es nicht schon geben!

Schon mit dem Opener „I don’t care“ fährt Siemandel die bequeme Großraumkutsche vor, holt seine Hörerschaft direkt ab und sorgt bereits zum Auftakt dafür, dass sie inmitten der eingängigen Melodien und warmen, analogen Synthieflächen gut und bequem sitzen und gar nicht mehr aussteigen wollen. Ach was sag’ ich, nicht nur nicht mehr aussteigen, sondern direkt noch eine weitere Fahrt unternehmen, nachdem der letzte Ton verklungen ist. Und dann noch eine.

Ohrwürmer kann man gut im Hause Zynic, ohrschmeichelnde und eingängige Melodien sowieso

Ohrwürmer kann man gut im Hause Zynic, ohrschmeichelnde und eingängige Melodien sowieso. Und da ich nicht weiter spoilern möchte, inhaltlich vielleicht nur so viel: Der Bandname Zynic kommt nicht von ungefähr. Rhetorische Frage: kann man in einer Welt wie der, in der wir leben, eigentlich überhaupt noch anders? Wer Peter bei Facebook folgt, wird überdies feststellen, dass die Texte dieses Albums durchaus persönlichen Bezug haben.

Nun könnte man vielleicht dem Glauben anheimfallen, dass die wirklich starre Fixierung auf eine ganz besondere Art der Musikerzeugung für Eintönigkeit sorgt. Dem ist nicht so. Abwechslung ist ebenfalls eines der Schlagwörter, die ich „Best Before End“ ganz, ganz groß auf das Cover pinseln wollen würde. Immer wieder meint man, Referenzen an die bereits benannten Größen herauszuhören oder von mir aus auch an Bands wie OMD oder Yazoo. Das allein wäre an sich schon Grund genug für vergnügtes Schnalzen mit der Zunge. Doch hat der Peter darüber hinaus immer wieder kleine Samples eingebaut, die Fans vergnügt aufhorchen zu lassen. So wartet beispielsweise „Ein Mann sieht rot“, das einzig in Deutsch gesungene Lied, anfangs mit einem kurzen Sample aus Trios „Da Da Da“ auf – ehe ein flotter Beat einsetzt, der unter anderen Umständen sicher auch einer EBM-Kapelle zur Ehre gereicht hätte. Hat hier einer DAF gesagt? Einen Cover-Song gönnt man sich bei Zynic dann aber doch noch: Freestyles „Don’t Stop The Rock“ bekommt hier quasi ein hörenswertes 2022er-Upgrade. Kann man machen, zumal sich dieser 90er-Jahre-Nummer gut ins musikalische Klangbild einfügt.

Als Highlights würde ich aber vor allem Songs wie „Moodswinger“ anführen wollen, das von wunderbarer Melancholie gezeichnet ist und ambivalente Stimmungen durch die bittersüßen Melodien in den Strophen und die kontrastierenden, euphorischen Refrains gut illustriert. Oder auch „My Darkness“, zum Schmelzen schön und ergreifend sowie die jene, das Album schließende Ballade „Half Empty“. Eventuell wird hier gerade deutlich, dass im Hause Zynic nicht immer alles eitel Sonnenschein ist. Speziell diejenigen unter uns, die ebenfalls den ein oder anderen Schmerz ganz tief im Inneren mit sich herumtragen, werden sich von „Best Before End“ nicht nur abgeholt fühlen. Sondern, und das ist eigentlich mehr als man von einem Album der Populärmusik erwarten kann, auch verstanden. Mehr als alles andere, mehr als die ausgereifte musikalische Handwerkskunst sowie die Schippen, die in Sachen Produktion und Gesang draufgeschlagen wurden, ist es schlicht das emotionale Gefühlskino im Breitbildformat, das dieses Album auszeichnet.

Ich könnte an dieser Stelle noch ungefähr drölfhundert weitere Zeichen nieder tippen, um irgendwie dem gerecht zu werden, was Peter Siemandel alias Zynic hier geschaffen hat. Die Reaktionen auf „Best Before End“ sind, soweit ich das mitbekommen habe, ziemlich eindeutig: Beim auf derartige Mucke spezialisierten Tonträgerverstand POPoNAUT führt der aktuelle Langspieler die Charts an und immer wieder werden in sozialen Medien Stimmen laut, die das aktuelle Zynic-Album als das beste bisher abfeiern. Ich möchte das an dieser Stelle so unterschreiben. Es war ohnehin von Album zu Album eine Steigerung zu bemerken, aber was Zynic hier abliefert, ist schlicht sein bisheriges Meisterstück. Die Produktion, der Gesang, die klangliche Dynamik, die Eingängigkeit und vor allem die emotionale Tiefe – man kann „Best Before End“ mit Fug und Recht als Meisterwerk auf seinem Gebiet abfeiern. Ich wage mal eine Prognose: Das Jahr ist zur Hälfte herum und natürlich wissen wir noch nicht, was alles noch so kommt. Wenn es aber Ende Dezember darum geht, die besten Alben des Jahres 2022 zu benennen, dann werden wir noch einmal Zynics „Best Before End“ erwähnen müssen.

Cover des Albums Best Before End von Zynic.
Erscheinungsdatum
13. Mai 2022
Band/Künstler*in
Zynic
Album
Best Before End
Label
Zedsdead Records
Unsere Wertung
4.1
Fazit
Beim auf derartige Mucke spezialisierten Tonträgerverstand POPoNAUT führt der aktuelle Langspieler die Charts an und immer wieder werden in sozialen Medien Stimmen laut, die das aktuelle Zynic-Album als das beste bisher abfeiern. Ich möchte das an dieser Stelle so unterschreiben. Es war ohnehin von Album zu Album eine Steigerung zu bemerken, aber was Zynic hier abliefert, ist schlicht sein bisheriges Meisterstück. Die Produktion, der Gesang, die klangliche Dynamik, die Eingängigkeit und vor allem die emotionale Tiefe – man kann „Best Before End“ mit Fug und Recht als Meisterwerk auf seinem Gebiet abfeiern.
Pro
Wer musikalisch gerne dem Sound der 80er Jahre frönt, wird hier mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit sehr glücklich
Kontra
4.1
Wertung
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