Foto von Chris Pohl Er trägt ein schwarzes Obertei und scheint sich in einer Bar zu befinden, im Hintergrund sind zahlreiche Flaschen zu sehen.

Musikvorstellung: She Hates Emotions – Happy Pop Music

Foto: Annie Bertram

Dass es ein zweites Album von She Hates Emotions, der aktuellen Nebenbeschäftigung von Blutengel Chris Pohl, geben würde, war so schwer nicht zu erraten. Es brauchte dafür sicher keine Glaskugel. Einerseits, weil der Mann immer schon zu gerne mit dem Sound der 80er-Jahre herumgetüftelt hat. Sei es in Form von zahlreichen Coverversionen bei seinen nicht minder zahlreichen Projekten. Andererseits, weil das Debüt „Melancholic Maniac“ durchaus wohlwollend aufgenommen wurde. Jedenfalls soweit ich das in meiner selbst geschaffenen Filterblase beobachten konnte. She Hates Emotions, oder kurz SHE, sollte nix weiter, als mit Tönen, die dem schillerndsten Jahrzehnt der Popmusik entsprungen zu sein schienen, melancholisch gefärbte Pop-Songs auf die Welt loslassen. Den Sound der 80er-Jahre wecken, ohne einmal mehr auf Cover zurückgreifen zu müssen. Oder sich krampfhaft und ausschließlich auf diesen ganz besonderen Sound zu versteifen. Runde zwei Jahre nach „Melancholic Maniac“ legt Chris Pohl nun nach: „Happy Pop Music“ heißt das neue Album und bietet genau das. Nicht.

Nach dem rein instrumentalen Intro, von dem ich unumwunden zugebe, es inzwischen zu überspringen, geht die Post direkt gut ab mit der zuerst ausgekoppelten Single „Space And Time“. Und, mein lieber Scholli, diese flotte Nummer gehobenen Tempos gehört für mich ganz klar zu den Highlights im Schaffen von Chris Pohl. Ein eingängiger, elendiger Ohrwurm ist das, der mich förmlich dazu zwingt, ihn immer und immer wieder zu hören! Da ist es fast ein wenig schade, dass die restlichen Songs des Albums zwar auch gut, aber nicht mehr in der gleichen Liga spielen und somit das größte Feuerwerk schon direkt zum Start abgefackelt wurde.

She Hates Emotions - Space and Time (Official Music Video)

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Sicherlich, „This Ain’t Good“ ist schon unterhaltsam ausgefallen, mit seinem Sound, der gar nicht so dark-wavig ist, wie so viele andere Songs, sondern mich stattdessen an Kollegen wie Fancy denken lässt. Ein Paradebeispiel, bei dem Chris Pohl, als Kind der 80er, beweist, dass er sehr genau weiß, welche Knöpfe er drücken muss, um aus altbekannten Zutaten ein frisches Süppchen zu kochen. Und doch – ohne das unterhaltsame Video fehlt mir hier etwas, von dem ich nicht benennen kann, was es ist.

Ein bisschen Blutengel steckt mit drin

Anderes Beispiel: „The One I Love“ ist einer dieser Songs, der, würde er nicht so wunderbar nach 80er klingen, auch auf einem früheren Blutengel-Album hätte stattfinden können. Mir kommt dabei „Angel Dust“ (2002) in den Sinn oder „Demon Kiss“ (2004). Klar einer der stärksten Songs von „Happy Pop Music“ – und eben genau das nicht: fröhliche Mucke. Über die Anknüpfung an den Vorgänger, die musikalische Gestaltung sowie die Inhalte erfährt man von Chris folgendes:

„Natürlich baue ich auf dem ersten Album auf und habe wieder sehr minimalistische Songs geschrieben, die jedoch sehr eingängig sind und viel 80er-Flair versprühen, ohne krampfhaft so klingen zu wollen, wie damals. Der Titel „Happy Pop Music“ ist natürlich ironisch, da ich auch hier wieder traurige Themen wie Einsamkeit, Suche nach dem Sinn des Lebens, Depressionen, Angst vor dem Älterwerden oder sogar die Zerstörung der Erde durch den Menschen anpacke. Allein durch den höheren Gesang und den Minimalismus grenze ich mich hier klar von Blutengel ab.“

„She Takes Control“ tönt für mich, mit all dem ganzen Ohohohoh und so weiter, zwar nach Laura Branigan und ihrer „Self Control“, textlich ist es aber mit dem ganzen „Angel of the Night“-Getüdel einmal mehr ein verkappter Blutengel-Song. So ganz kann er offensichtlich dann doch nicht heraus aus seiner Haut, der Chris. Aber wer wollte ihm das auch verdenken?

She Hates Emotions - This Ain't Good (Official Music Video)

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Wie auch schon auf dem Vorgängeralbum „Melancholic Maniac“ gestattet sich Chris Pohl auch auf dem neuen Album einen Song in deutscher Sprache. „Ich will hier weg“ heißt die Nummer und aus völlig unbekannten Gründen fühle ich mich an „Sehnsucht“ von Purple Schulz erinnert. Das hat musikalisch damit zwar im Wesentlichen nur das Jahrzehnt der Veröffentlichung gemeinsam (bzw. den Flair, der eingefangen werden soll), und doch: wenn Chris hier schreisingt „ich will hier weg!“, dann schwingt da einfach auch ein bisschen Purple Schulz mit, der dereinst ins Mikrofon litt:

„Ich hab Sehnsucht…
Ich will nur weg
Ganz weit weg
Ich will raus!!!“

Ob das Zufall ist oder eine gewollte Homage an den Kölner Musiker, ist mir derzeit nicht bekannt. Es steht dem Song aber gut zu Gesicht, keine Frage.

Ach, es gibt schon so ein paar kleine Perlen auf „Happy Pop Music“. Neben den genannten sind es zum Beispiel das in zügigem Tempo daherkommende „No Time To Waste“ oder das ebenfalls bereits mit einem Video bedachte „Meant To Be Alone“. Wie üblich wird es auch im Falle der „Happy Pop Music“ die Leute geben, die immer dann auf den Plan treten, wenn Chris Pohl irgendwas veröffentlicht, und daran herummeckern. Vermutlich einfach weil wegen. Das ist nach rund 25 Jahren im Musikgeschäft inzwischen schon so sicher wie das Amen in der Kirche. Und nach 25 Jahren im Business kann dem Mann das auch einfach egal sein. Wie vermutlich auch das Amen in der Kirche. Wer keine Lust drauf hat, wird Gründe finden. Wer aber für dunkelromantische Pop-Musik mit viel 80er-Jahre Herzblut, die auch gar nicht mehr sein möchte als genau das, etwas übrig hat, wird von Chris Pohls She Hates Emotions bereits zum zweiten Mal sehr gut bedient.

Gekommen, um zu bleiben?

Nun weiß man ja, dass musikalische Projekte bei dem Mann kommen und gehen, in der Vergangenheit gab es da ja schon so einige (neben Blutengel und SHE waren da früher unter anderem auch noch Tumor, Terminal Choice, Seelenkrank, Miss Construction, Pain Of Progress und so weiter) und nicht selten sind die so schnell wieder in der Versenkung verschwunden, wie sie aufgetaucht waren. Bei She Hates Emotions aber beschleicht mich das Gefühl, dass dies ein Projekt ist, das gekommen ist, um (neben Blutengel) zu bleiben. Ich werde den Gedanken nicht los, dass Chris seine Gedanken und Gefühle hier auf eine andere, eher persönlichere Weise in die Lieder gießt, als das bei Blutengel der Fall (oder gar möglich) ist. Wir werden sehen, ob ich mit dieser Vermutung Recht behalten werde. Uns Hörenden würde ich das aber wünschen.

She Hates Emotions - Meant to be alone (Official Music Video)

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Alles in allem bin ich sehr zufrieden mit dem Album. Da sind wieder ein paar schöne Pop-Perlen versammelt, die zum immer mal wieder Hören einladen. Dass ich nicht komplett vor Verzückung ausraste, ist vor allem einem Umstand geschuldet: Nach nunmehr zwei Alben unter der Flagge von She Hates Emotions bin ich zu der Erkenntnis gelangt, dass es mir ein klitzekleines Bisschen besser gefällt, wenn sich Blutengel bekannten 80er-Jahre-Hits widmen und diesen einen eigenen Stempel aufdrücken. Das mag eine Momentaufnahme sein und kann morgen schon wieder ganz anders aussehen. Schön zu hören, dass „Melancholic Maniac“ keine Eintagsfliege war und Chris Pohl noch immer bekannte Sounds zu neuen Liedern zusammenstricken kann, ist es in jedem Fall.

Erscheinungsdatum
25. November 2022
Band / Künstler*in
She Hates Emotions
Album
Happy Pop Music
Label
Out Of Line
Unsere Wertung
3.8
Fazit
Wie üblich wird es auch im Falle der „Happy Pop Music“ die Leute geben, die immer dann auf den Plan treten, wenn Chris Pohl irgendwas veröffentlicht, und daran herummeckern. Vermutlich einfach weil wegen. Das ist nach rund 25 Jahren im Musikgeschäft inzwischen schon so sicher wie das Amen in der Kirche. Und nach 25 Jahren im Business kann dem Mann das auch einfach egal sein. Wie vermutlich auch das Amen in der Kirche. Wer keine Lust drauf hat, wird Gründe finden. Wer aber für dunkelromantische Pop-Musik mit viel 80er-Jahre Herzblut, die auch gar nicht mehr sein möchte als genau das, etwas übrig hat, wird von Chris Pohls She Hates Emotions bereits zum zweiten Mal sehr gut bedient.
Pro
Einmal mehr jede Menge Pop-Musik mit jede Menge 80er-Jahre Charme
Größtes Highlight ist "Space and Time" ...
Kontra
... wird aber schon zu früh abfackelt, dieses Feuerwerk
3.8
Wertung
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