Die Band The Birthday Massacre. Die sechs Personen befinden sich auf oder um ein altes Sofa herum, im Hintergrund ist verschiedene Leuchtreklame zu sehen.

Musikvorstellung: The Birthday Massacre – Fascination

Quelle: The Birthday Massacre / Website

2004 war mein erstes Mal: In jenem Jahr hatte ich das erste Mal Musik von The Birthday Massacre in den Ohren. Was war ich seinerzeit begeistert von dem Album „Violet“! Diese einzigartige Mischung aus 80er-Jahre Pop, gepaart mit metallischer Härte, Chibis wunderbarer Gesangsstimme und dieser an Tim Burton erinnernden Ästhetik – sensationell! „Violet“ halte ich auch heute noch für ein ganz starkes Rock-Album. Leider muss ich an dieser Stelle sagen, dass mit jeder neuen Veröffentlichung der kanadischen Band die Begeisterung für The Birthday Massacre mehr und mehr nachgelassen hat. Heute, großzügig aufgerundete 20 Jahre später sitze ich hier und versuche meine Enttäuschung über diese Entwicklung anlässlich des kommenden Albums „Fascination“ in Worte zu fassen. Gut möglich, dass es aufgrund des Ausbleibens von eben selbiger auch mein letztes Mal gewesen sein wird.

Die alles entscheidende Frage, des Pudels Kern quasi, ist folgende: Wann genau haben The Birthday Massacre eigentlich ihren Biss verloren? Wann ist es passiert, dass es ihnen selbst genug ist, Schunkelpop mit 80er-Jahre-Kitsch zu machen, die bei NDR2 im Frühstücksradio laufen könnte oder im Fahrstuhl oder als Beschallung von Einkaufszentren und dabei niemanden stören würde. Ich will nicht sagen, dass der Begriff Muzak für das ersonnen wurde, was The Birthday Massacre auf ihrem 12. Studioalbum abliefern. Aber ich gebe zu: Der Gedanke kam mir.

Nehmen wir mal „Violet“ als Vergleichsreferenz. „Lovers End“ ist ein Paradebeispiel dafür, was die Band einmal war: eigenwillige, spooky Atmosphäre, bittersüße Melodien, engelsgleicher Gesang, Growls, harte Gitarrenriffs – und auf eine bis dato unerhörte Weise zu einem ganz großartigen Erlebnis verwoben. Oder nehmen wir „Red Stars“ vom nachfolgenden Album „Walking With Strangers“, das in Sachen Härte noch einmal eine Schippe obendrauf packte und den Ohrwurm mit Nachdruck in die Gehörgänge zimmerte!

Sicherlich lebte die Mucke der Band um Frontfrau Chibi immer auch von den herzergreifend schönen Balladen, „Secret“ vom 2010er Album „Pins And Needles“ sei hier als Beispiel genannt. Vielleicht war es aufgrund ebendieser Balladen abzusehen, dass sich der Sound immer mehr in diese Richtung entwickeln würde. Vielleicht ist es auch einfach dem Umstand geschuldet, dass die Band im Prinzip seit 1999 am Start ist (damals noch als Imagica), Chibi und ihre Jungs inzwischen alle mitten in ihren 40ern sein dürften und sich das Lärmen im Laufe der Jahre abgewöhnt haben.

Dagegen wäre nicht mal etwas einzuwenden, wenn das nicht als Nebeneffekt hätte, dass der Zahn der Zeit eben auch am Trademark Sound der Band genagt hätte. Dieses ewig gleiche Getüdel mit Synthies, bissken Gitarre dabei und Chibi, die ihr ganzes Herzblut in Lyrics legt, die in ein Ohr hinein- und ungebremst aus dem anderen wieder hinausgehen, das nutzt sich eben ab. Wenn man die einstige Atmosphäre der frühen Werke, die immer so einen „Corpse Bride“- oder „The Nightmare Before Christmas“-Charme versprühten, weg nimmt, die Gitarren in der Wucht reduziert, sodass sie sich nicht mehr wie vor den Latz geballert anfühlt, wenn man textlich auch das makabere Element herausnimmt und sich Gefühlsduselei ergibt (Songtitel wie „Dreams of You“, „Stars and Satellites“ oder „Precious Hearts“ sprechen da eine deutliche Sprache) – wenn all das, was man dereinst mit The Birthday Massacre in Verbindung brachte, dem Rotstift zum Opfer gefallen ist, was bleibt dann noch? The Birthday Party?

Ich muss sagen, es überrascht mich alles nicht. Schon als die Mail mit der Promo des Albums eintrudelte, hatte ich eine Vermutung, wie das neue Album klingen, wie es sich anfühlen würde. Bereits die letzten drei Alben zeichneten den Weg mehr oder weniger vor. Inzwischen ist es so, dass man im Prinzip alles seit und inklusive „Superstition“ (2014) per Zufallswiedergabe durchmischen und nicht mehr auseinanderhalten könnte, welcher Song von welchem Album stammt. Mit „Fascination“ haben The Birthday Massacre leider ihren bisherigen Tiefpunkt in gefälliger Belanglosigkeit erreicht. Ich finde das außerordentlich bedauerlich. Es mag natürlich viele Fans da draußen geben, denen das, was die Band in der letzten Dekade gemacht hat, gut gefällt. Wenn Du Dich auch dazu zählst, wirst Du mit „Fascination“ möglicherweise sehr glücklich. Wenn die Erwartung ist, gefühlvollen Radio-Pop-Rock mit toller Gesangsstimme serviert zu bekommen – unter diesen Gesichtspunkten liefern The Birthday Massacre durchaus ab. Vielleicht aber hat die Band aus Toronto auch prophetische Qualitäten bewiesen, zumindest bei jenen, die vom Ergebnis ähnlich enttäuscht sind wie ich, in dem sie als letztes Lied dieses Albums ausgerechnet einen Song namens „The End of all Stories“ packten. Lovers End.

Die Promo zu „Fascination“ kam sehr, sehr frühzeitig. Bereits seit kurz vor Weihnachten liegt mir dieses Album vor und Ihr dürft mir bitte glauben, dass ich es seitdem immer und immer wieder gehört habe in der Hoffnung, der Funke möge vielleicht doch noch überspringen, eben weil mich die Musik von The Birthday Massacre schon sehr lange begleitet. Er tat es nicht. Beim Tippen dieses Artikels tüdelt das Album abermals im Hintergrund und schiebt sich dabei so gekonnt an meiner Aufmerksamkeit vorbei, dass mir schon wieder der Begriff Muzak durch den Koppe geistert. Denkbar, dass dieses Album polarisieren, die Hörerschaft quasi in zwei Lager aufspalten wird. Diejenigen, die es gut finden, was in den letzten Jahren so kam und gerne mehr davon hätten. Die werden bedient. Und diejenigen, die genannte Elemente früherer Tage vermissen. Die werden nicht bedient, seit Jahren schon nicht. Vielleicht lässt sich so mehr Geld verdienen, wer weiß. Aber Synthwave- bzw. Synth-Rock Bands gibt es zur Genüge, da stechen The Birthday Massacre nicht (mehr) besonders hervor.

Erscheinungsdatum
18. Februar 2022
Band / Künstler*in
The Birthday Massacre
Album
Fascination
Label
Metropolis Records
Unsere Wertung
3.5
Fazit
Denkbar, dass dieses Album polarisieren, die Hörerschaft quasi in zwei Lager aufspalten wird. Diejenigen, die es gut finden, was in den letzten Jahren so kam und gerne mehr davon hätten. Die werden bedient. Und diejenigen, die genannte Elemente früherer Tage vermissen. Die werden nicht bedient, seit Jahren schon nicht. Vielleicht lässt sich so mehr Geld verdienen, wer weiß. Aber Synthwave- bzw. Synth-Rock Bands gibt es zur Genüge, da stechen The Birthday Massacre nicht (mehr) besonders hervor.
Pro
Chibis Stimme ist immer noch toll
Die Balladen wissen immer noch sehr zu gefallen
Kontra
Das seit beinahe 20 Jahren unveränderte Konzept der Band hat sich inzwischen ein bisschen abgenutzt
Die morbide Stimmung, die Eingängigkeit von 80er-Jahre Sounds und metallischer Härte ist weitgehend gefälliger Pop-Rock-Mucke gewichen
3.5
Wertung
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