Foto von Alina Amuri, sie trägt ein schulterfreies, goldenes Kleid und hat die Haare hochgesteckt.

Empowerment und Feminismus in Form ziemlich cooler Mucke: „Back to You“ von Alina Amuri vorgestellt

Foto: mistermarabout

Es gibt sicher haufenweise Dinge, die ich an Musik wirklich toll finde. Da wäre zum Beispiel die Macht der Musik, Gefühle zu wecken. Oder Erinnerungen wieder hervorzurufen, Assoziationen zu bestimmten Erlebnissen oder Situationen, die auf alle Zeit mit bestimmten Ereignissen in dem Gedächtnisspeicher des eigenen Koppes miteinander verbunden sind. Oder dass sie, im Rahmen von Parties oder Konzerten, schlicht ein paar fröhliche Stunden bereiten kann. Neben all den offensichtlichen Dingen, die den meisten vermutlich sofort und immer einfallen, wenn man sie befragt, warum Musik toll ist, gibt es noch eine andere Sache, die ich wirklich prima finde: Sie bringt mich immer und immer wieder dazu, mich mit dem Rest der Welt zu beschäftigen. Neugier auf das zu wecken, was ich noch nicht kenne oder noch nicht weiß, ist eine der nobelsten Eigenschaft der Musik, wie ich finde. Ein Album ist oftmals ein Tellerrand, über den mich die enthaltene Mucke regelmäßig zu schubsen vermag. Aktuelles Beispiel: Ich habe mich kürzlich gefragt, was ich eigentlich über die Demokratische Republik Kongo weiß. Die Antwort ist so einfach wie bedauerlich: im Prinzip so gut wie nix. Dass ich mir vornehme, diese Wissenslücke sehr zeitnah schließen zu wollen, dafür sorgt das neue Album von Alina Amuri, „Back to You“. Warum das so ist und was das Album sonst noch so kann, das wollen wir jetzt mal ein bisschen beleuchten.

Alina Amuri ist ein Kind der Demokratischen Republik Kongo. Dort ist sie geboren, aufgewachsen allerdings bei unseren Nachbar*innen in der Schweiz. Du kannst noch so sehr in der Welt unterwegs sein, noch so sehr mal hier leben und mal dort – irgendwann kommt der Moment, an dem es dich zumindest für einen Besuch zurück zu deinen Wurzeln zieht. Vielleicht willst du mal kucken, was aus dem Elternhaus geworden ist, in dem deine Familie in deiner Kindheit lebte. Vielleicht willst du wissen, wie die Gegend, in der du als Kind getobt und gespielt hast, sich verändert hat. Vielleicht interessiert es dich, ob die Kneipe, in der du deinen ersten Absturz hattest, noch steht oder die Parkbank, die zur ersten Bühne der ersten, wilden Knutscherei wurde, noch immer da unten neben der Brücke an dem kleinen Fluss steht. Vielleicht hast du deine wahre Heimat aber auch nie kennengelernt, weil du sie schon als Baby oder im Kleinkindalter verlassen musstest, aus welchen Gründen auch immer. Vielleicht hast du auch deine Familie im Streit hinter dir gelassen und suchst nun nach einem Weg der Versöhnung. Vielleicht hast du auch auf deinen Reisen durch die Welt und das Leben Dinge gesehen und erlebt und gelernt, die du unbedingt teilen und weitergeben möchtest. Die Gründe für eine Rückkehr in die alte Heimat sind so zahlreich, wie sie auch individuell sind. Warum sich Alina Amuri entschieden hat, zumindest für einen Besuch zurückzukehren, ist mir nicht bekannt. Erzählen kann ich Euch nur, dass sie zu ihren Wurzeln zurückgekehrt ist und dass es sie dem Vernehmen nach viel Überwindung gekostet habe, sie aber auch daran persönlich sehr gewachsen sei.

„Back to You“, so heißt es weiter, sei das Ergebnis dieser erstmaligen Reise zurück in ihren Geburtsort Kinshasa. Und sicherlich wäre es ein leichtes, wenn die Eindrücke dieses Ausflugs zu einem emotional überfrachteten und überfordernden Album geführt hätten, irgendwie schwer und wehmütig und eher so semi-unterhaltsam. Ich darf Euch versichern: Das, was Alina Amuri hier auf ihrem Album präsentiert, ist weit davon entfernt. Irgendwo zwischen Afro-, Soul und Trip-Hop ließe sich die Mucke verorten, angestrichen mit ganz, ganz viel Pop. Jede Menger good vibes, quasi. Passend zum ersten Track des Albums, welcher ebendiesen Namen trägt.

Ziemlich schnell wird klar, dass die musikalische Mischung, zusammen mit dem Gespür für Eingängigkeit und der tollen, dynamischen und druckvollen Produktion – überragt nur noch von Alinas samtig-souliger und sehr kraftvollen Stimme – eine ziemlich einnehmende ist. Schon „Good Vibes“ geht direkt ins Ohr, verankert sich dort, und möchte sich eigentlich auf den Bewegungsapparat ausweiten, um den Körper zum Tanz zu animieren. Dann gibt es Stücke wie „Sister“, entstanden zusammen mit Vocal-Beiträgen von Nyangombe, die rhythmischer ausgefallen sind und in mir Unwissenden den Wunsch wecken, mich näher mit Musik vom afrikanischen Kontinent zu beschäftigen. Und irgendwie schwingt in allem sehr viel Empowerment und Feminismus mit. „Game Over“ beispielsweise handelt davon, dass die Protagonistin des Lieds Schluss macht damit, dass ihr irgendwer permanent auf der Tasche liegt und um Geld bettelt. Dabei kommen mir gar nicht mal sehr Lebensabschnittsgefährt*innen in den Sinn, sondern aus unerfindlichen Gründen denke ich an Väter mit Spielschulden und Alkoholsucht. Oder „Woman“, das schon vorab ausgekoppelt wurde und die Botschaft übermitteln möchte, dass es speziell Mädchen und junge Frauen sehr wohl verdient haben, gesehen und gehört zu werden. Alina schrieb dieses Lied einerseits für sich, für ihr jüngeres Ich, aber natürlich auch für alle anderen Frauen dieser Welt: „This is for the woman in us / In all of our divinity / We will walk tall, yeah we won’t feel small“ .

An musikalischer Abwechslung oder einer sehr gediegenen Produktion mangelt es diesem Album nicht. Zumal Alinas Stimme wirklich außerordentlich ohrschmeichelnd ist. Einziges wirkliches Manko dieses Albums ist der Umfang: gerade mal neun Titel, verteilt auf 26 Minuten, dabei ist der letzte Track im Prinzip auch nur ein Outro von weniger als zwei Minuten. Gerade, wenn man sich also so richtig schön eingerichtet hat in diesem Album, da wird man schon wieder vor die Türe gesetzt. Ein bisschen mehr hätte es schon sein dürfen. Andererseits: die sehr kurzweilige kurze Weile lädt zu mehrmaligen Konsum direkt hintereinander ein.

Ich habe mich damals gefreut, als mit Kamala Harris die erste Frau sowie die erste afroamerikanische und asiatisch-amerikanische Person zur Vizepräsidentin der Vereinigten Staaten vereidigt wurde. Ich fand es super, dass Amanda Gorman bei ebendieser Amtseinführung ihr Gedicht „The Hill We Climb“ vortragen durfte. Ziemlich klasse fand ich auch, dass Disney den Mut hatte, die Realverfilmung von „Arielle“ mit einer nicht-weißen Frau (Halle Bailey) in der Titelrolle zu besetzen. Bedauerlicherweise leben wir nach wie vor einer Welt, in der man solche Errungenschaften würdigen muss, anstatt sie als das zur Kenntnis nehmen, was sie sein sollten: eine Selbstverständlichkeit, und die Hautfarbe leider nach wie vor für viel zu viele Menschen eine Rolle spielt. Gleichberechtigung umgekehrt hingegen immer noch eine viel zu kleine. Aber bei all diesen Aktionen schwang eine Art Mutmachung mit, die jungen Frauen und Mädchen zeigte, dass es sehr wohl möglich ist, große Ziele zu erreichen und Träume zu verwirklichen. Auch, wenn man zu einem Teil der Bevölkerung gehört, dem – ganz vorsichtig formuliert – regelmäßig Steine in den Weg gelegt werden. Die gleichen „Good Vibes“ (da haben wir es wieder) schwingt auch auf „Back to You“ mit. Ich würde behaupten wollen, dass es eine ziemlich prima Sache gewesen ist, dass Alina Amuri einen Besuch in ihrer alten Heimat unternommen hat. Herausgekommen ist nicht nur ein Album von einiger Strahlkraft und sicher auch Vorbildwirkung, sondern, wenn man alles andere beiseiteschieben wollte, mit ziemlich guter Pop-Musik, angerührt aus zahlreichen spannenden Zutaten. Und während ich Euch nun mit der Empfehlung, diesem Album Gehör zu schenken, zurücklasse, schlage ich Wikipedia auf und belese mich ein bisschen zur Demokratischen Republik Kongo. Hatte ich eigentlich schon gesagt, wie toll Musik ist, weil sie Neugier und Forscherdrang wecken kann?

Cover des Albums Back to You von Alina Amuri.
Erscheinungsdatum
15. September 2023
Band / Künstler*in
Alina Amuri
Album
Back to You
Label
popup Records
Unsere Wertung
3.9
Fazit
Ich würde behaupten wollen, dass es eine ziemlich prima Sache gewesen ist, dass Alina Amuri einen Besuch in ihrer alten Heimat unternommen hat. Herausgekommen ist nicht nur ein Album von einiger Strahlkraft und sicher auch Vorbildwirkung, sondern, wenn man alles andere beiseiteschieben wollte, mit ziemlich guter Pop-Musik, angerührt aus zahlreichen spannenden Zutaten.
Pro
Tolle Stimme, über die Alina Amuri verfügt - und sie weiß sie sehr vielseitig einzusetzen
Gelungene Produktion mit vielen vertrauten, aber auch einigen (zumindest für meine Ohren) neuen Klängen
Teilweise durchaus sehr (sozial-)kritische Texte
Jede Menge Empowerment
Kontra
Leider etwas sehr kurz ausgefallen, dieses Album - manche EP bietet mehr Content
3.9
Wertung
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