Chris Pohl von Blutengel während eines Konzerts, im Hintergrund ist eine Frau zu sehen, die ein Cello spielt.

Musikvorstellung: Blutengel – Black Symphonies (An Orchestral Journey)

Foto: Sideshowmick / Avalost

Bereits nach dem ersten Gothic Meets Klassik – Festival im Jahr 2012 hätte es wohl keine Glaskugel gebraucht, um zu erahnen, dass der umtriebige Chris Pohl nicht einfach nur ein Konzert in klassischer Darreichungsform (sprich: mit komplettem Orchester) präsentiert und es damit auf sich beruhen lässt. Nej, angestachelt von dem offenbar sehr positiven Feedback, folgte im Jahr danach eine Tour, die Blutengel und das Monument Ensemble erneut vereinte. Und all jenen die Möglichkeit gab, Blutengel in Klassik nachzuholen, die bei dem besagten Festival nicht dabei waren. Und auch hier musste man keine Skill-Punkte in die Hellseher-Fähigkeit investieren, um sich ausmalen zu können, dass dies immer noch nicht alles gewesen sein konnte. Schließlich hatte Kollege Ronan Harris schon unmittelbar nach dem GMK verkündet: ein VNV Nation-Album klassischer Machart (im Wortsinn) werde kommen! Tja, bis heute fehlt davon jede Spur. Dafür präsentierte Chris Pohl letzten Freitag das neue Album seines Lieblingsprojektes: „Black Symphonies (An Orchestral Journey)“. Ja na dann: einmal mehr Bühne frei für Blutengel und Orchester.

Wie Ihr Euch vermutlich denken könnt, handelt es sich bei diesen schwarzen Sinfonien um einen kleinen Querschnitt aus dem bisherigen Schaffen der Berliner Dark Electro-Band. Chris Pohl und seine in der Vergangenheit wechselnden Gesangsdamen können inzwischen auf eine ja doch schon recht beachtliche Diskografie zurückblicken. Einige der besten Stücke Blutengels entstanden zweifelsfrei durch das Mitwirken von Goldkehlchen Ulrike Goldmann, daher ist es nur konsequent, dass sich die Auswahl der Songs weitestgehend auf „Black Symphonies“ auf die jüngere Bandgeschichte konzentriert. „Soultaker“, „You Walk Away“, „Kinder dieser Stadt“, „Reich mir die Hand“, „Über den Horizont“ – alles Stücke, die aus Zeiten stammen, in denen die früheren Sängerinnen Blutengels nur noch eine Erinnerung waren. Einen Ausflug in die ganz frühen Tage unternimmt die Band mit „Seelenschmerz“. Logisch, dieser Überhit darf einfach nicht fehlen. Hier zeigt Frau Goldmann in der klassischen Version einmal mehr, was sie kann. Tut mir leid, Kati und Gini, ihr mögt das Lied damals in die Welt gesetzt haben, neue und spannendere Facetten gewinnt es aber erst durch Ulrike. Und das nicht nur des neuen Klangbildes wegen. Herr Pohl ist gut damit beraten, Frau Goldmann weiterhin bei Blutengel zu halten. Darüber hinaus findet sich in der Tracklist des Albums auch das neue Stück „Krieger“. Zu diesem aber später mehr.

Dass Ober-Blutengel Chris Pohl die Arrangements für ein klassisches Orchester nicht selbst vorgenommen hat, wird wohl niemand ernsthaft vermutet haben. Diese stammen stattdessen von Conrad Oleak. Conrad wer? Macht nüscht, wenn Euch der Name zunächst nichts sagt. Conrad Oleak ist kein unbeschriebenes Notenblatt (ähem …), was klassische Arrangements angeht. Schon beim „Monument“, dem letzten ‚normalen‘ Blutengel-Album, war er am Werke. Und Hörer gern genommener Ostrock-Bands erinnern sich vielleicht: auch Ostrock gab es schon einmal in Klassik. Und wer hatte damals ebenfalls seine Finger im Spiel, als Silly, Karat, Dirk Michaelis oder die Puhdys von einem Orchester begleitet wurden? Riiichtig, genau. Er schrieb die Songs Blutengels um, sodass sie nun mittels Violine, Cello, Akustikgitarre, Klarinette, Klavier, Percussions und ähnlichen Instrumenten eingespielt werden können, ohne dabei die Songstruktur, die Melodienbögen oder die Hooklines als markantes Erkennungsmerkmal einzubüßen. Was dadurch passiert: Selbst der noch so totgedudelste Blutengel-Song erstrahlt in neuem Glanz. Und kann dabei nicht mal durch die manchmal bekannt kitschigen Texte kaputt gemacht werden. Somit steht den Songs das neue Outfit ganz hervorragend.

Ich habe Ende letzten Jahres selbst in Berlin einem Blutengel in Klassik-Konzert beigewohnt. Ich würde nach wie vor behaupten, es handelte sich dabei um das bisher beste Konzert der Berliner, das ich je gesehen habe. Und das waren im Laufe der Jahre doch schon so einige. Auch über den Blutengel-Tellerrand hinaus zähle ich es zu den Highlights. Die Spielfreude aller Akteure auf der Bühne war beeindruckend. Und: über das Für und Wider, eine Klischeeband wie Blutengel nun auch noch mit Orchester zu versehen, lässt es sicherlich streiten. Unbestreitbar ist aber auch, dass das besondere Feeling, welches die Tour mit dem Monument Orchester verbreitete, auf „Black Symphonies“ ganz brillant eingefangen wurde.

Jede Menge Klassiker in Klassik

Es ist allerdings schade, dass angesichts der Tatsache, dass das Label Out Of Line im Werbetext nicht mit dem Wort „bombastisch“ spart und der Sound zwar klar, differenziert und vernünftig akzentuiert aus den Boxen tönt, satten – bombastischen – Bass jedoch oft vermissen lässt. An manchen Stellen hätte da deutlich mehr Hosenbeinflattern verursachendes Grollen kommen können. Unterm Strich ist das aber Jammern auf hohem Niveau, insgesamt gehört „Black Symphonies“ aus produktionstechnischer Sicht zu den besten Blutengel-Alben. Inhaltlich womöglich auch, aber das ist wie so oft Geschmackssache.

Ein Wort noch zu „Krieger“, das als Single dem Deluxe Box Set beiliegt. Diese Widerstandshymne für Feld-, Wald- und Wiesengruftis, die noch der Meinung sind, mit dem Hören von Blutengel (und ähnlichen Bands) entginge man der ach so geächteten Zuordnung zum Mainstream, ist eine schicke Düsterpop-Nummer. Zumal sie beides vereint, was man an Blutengel schätzen kann: tanzbare Electro-Töne, catchy Hooklines – und neuerdings halt (noch mehr) orchestrale Elemente. Es gab gute Blutengel-Singles, es gab schlechte. „Krieger“ ist eine der besseren, gar keine Frage. Macht auf schwarzen Partys sicher eine gute Figur. Chris Harms und seine Kollegen haben den Song in der Lord Of The Lost-Version in ein treibendes, manchmal knüppelhartes Brett im Spannungsfeld zwischen Rock und Metal verwandelt. Fetzt auch. „Grey City“, der dritte Track der „Krieger“-Single, ist wieder eine dieser kleinen Blutengel-Perlen, die uns glauben lassen, dass da in Berlin noch einiges mehr zu erwarten wäre, wenn sich Blutengel nicht zu sehr darauf ausruhen würden, ihre Klientel zu bedienen. Hübscher Synthie-Pop mit leicht melancholischer Note. Und auch hier logischerweise wieder die  (hier dezenten) orchestralen Elemente. Eventuell denkt Herr Pohl ja mal über die Gründung eines weiteren Projekts nach, bei dem er diesen Weg weiter beschreiten kann, ohne dem Etikett Blutengel verhaftet zu sein.

Sicherlich: zu echter klassischer Musik gehört wohl noch ein bisschen mehr, als Electro-Pop-Songs derart umarrangieren zu lassen, damit sie von Streicher*innen, Klarinettenbläser*innen, Pianist*innen und ähnlichen sinnvoll gespielt werden können. Na und? Ein vergnügliches Hörerlebnis ist „Black Symphonies“ dennoch. Besucher des ersten Gothic Meet Klassik – Festivals und/oder der Klassiktour bekommen hier ein Vergissmeinnicht eines sicherlich tollen Abends nachgereicht und alle anderen die Möglichkeit, Blutengel auch mal in klassischem Klangkleid zu erleben. Notorische Blutengel-Hater werden auch dieses Mal wieder verächtlich die Augenbrauen anheben, wenn das Thema zur Sprache kommt. Egal wie viel (hörbare) Mühe Chris und Kolleg*innen in ein Album stecken. Fans hingegen freuen sich über eine gelungene Abwechslung im Blutengel-Alltag. Und alle anderen müssen neidlos anerkennen, dass von allen Künstler*innen, die inzwischen ihre Düstersongs klassisch präsentiert (und womöglich ein entsprechendes Album angekündigt) haben, Blutengel die schnellsten waren. Und das, ohne dass es übers Knie gebrochen wirkt.

Cover des Albums Black Symphonies (An Orchestral Journey) von Blutengel.
Erscheinungsdatum
28. Februar 2014
Band / Künstler*in
Blutengel
Album
Black Symphonies (An Orchestral Journey)
Label
Out Of Line
Unsere Wertung
4.1
Fazit
Sicherlich: zu echter klassischer Musik gehört wohl noch ein bisschen mehr, als Electro-Pop-Songs derart umarrangieren zu lassen, damit sie von Streicher*innen, Klarinettenbläser*innen, Pianist*innen und ähnlichen sinnvoll gespielt werden können. Na und? Ein vergnügliches Hörerlebnis ist „Black Symphonies“ dennoch. Besucher des ersten Gothic Meet Klassik - Festivals und/oder der Klassiktour bekommen hier ein Vergissmeinnicht eines sicherlich tollen Abends nachgereicht und alle anderen die Möglichkeit, Blutengel auch mal in klassischem Klangkleid zu erleben.
Pro
Blutengels Lieder machen in orchestraler Version durchaus Sinn
Schöner Querschnitt durch das bisherige Schaffen der Band, wenn auch mit Fokus auf das Schaffen seit Ulrike Goldmann dabei ist
Kontra
Manchmal hätte die Produktion etwas mehr Bass vertragen können
4.1
Wertung
Vorheriger Artikel

Musikvorstellung: Seabound – Speak In Storms

Nächster Artikel

Die Meier Music Hall in Braunschweig schließt spätestens Ende April 2015

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Lies als nächstes